Samstag, 1. Mai 2010

Murks, Murks und nochmal Murks.

01.05.2010 - Tag 9
Mehrin - Kalbe (Milde)
5 h / 20 km

Der Murks begann schon heute Nacht... Ich habe kaum geschlafen, weil in meinem Zimmer ein ständiges Rauschen zu hören war. So als würden im Nebenraum 23 Waschmaschinen gleichzeitig laufen. Irgendwann bin ich eingeschlafen, wurde dann 0100 (nulleinhundert!) vom Zimmernachbarn geweckt. Scheiß Nachtruhe, scheiß Frühstück, scheiß Hotel. Da half auch der nette Grillabend von gestern abend nix mehr. Merke: Reiherhotels gilt es zu meiden.

Nach dem Aufbruch ist erstmal alles super. Die weiten Wiesen mit den tausenden Gräben geben mir schon mal einen Vorgeschmack auf den Naturpark Drömling (na, schon mal gehört?). Gutes Wetter, frischer Wind, ein kleiner Mittagsschlaf auf einer Brücke über die Milde. Super. Dann ein cooles Stück Landtechnik, das mein Herz sofort höher schlagen läßt. Kalbe empfängt mich mit einem wunderbar morbiden Mühlenhof, eine Mischung aus verspieltem Bürgerstuck des 19. Jahrhunderts, backsteinernem Ernst der 20er Jahre und liebevollem Beton der DDR.


Gadebusch, meine bisherige Lieblingsstadt dieser Tour, bekommt einen Moment später ernsthafte Konkurrenz: Gleich gegenüber der alten Mühle gibt es eine Burgruine mit Mauerresten, der Burggraben ist noch intakt. Zwischen dem alten Zwinger, der Kapelle und dem Wachthaus stehen niedrige Fachwerkhäuser und sind bewohnt. Um die Ecke dann das 1. Eiscafe. Gleich gegenüber das 2. Eiscafe. Kalbe empfängt nicht, Kalbe umarmt. Ich gönne mir was Kaltes und schlendere durch den Ort. Die mittelalterlichen wassergefüllten Grabenanlagen werden immer noch von der Milde durchflossen, Kalbe baute tausende Brücken und Stege über die mehrfachen Ringe. Die kleine Altstadt ist genauso still wie all die Dörfer sonst auf meiner Reise, alles liegt atemlos da, als ich langsam durch die Gassen ziehe.



Als ich die Stadt verlasse, fängt der Murks wieder an. Eigentlich wollte ich hier gar nicht vorbeikommen, aber ich hatte gestern in einem Anfall von Abenteuerlust meinen eigentlichen Plan, über Gardelegen und Letzlingen nach Helmstedt zu wandern, umgeschmissen. Statt dessen sollten Wiepke und Mieste als Zwischenstops durch das Naturschutzgebiet Drömling dienen. Hier allerdings wurden die Übernachtungsmöglichkeiten WIRKLICH rar. Der Wiepker Hof antwortete nicht auf meine Anrufe, das Ausweichquartier wollte mich nicht haben, weil die Dame des Hauses "heute nicht zuhause" sei. Das andere Ausweichquartier hatte dicht gemacht. So ist das also, wenn man nicht brav seine Unterkünfte ein bis zwei Tage vorher bucht. Nachdem ich wenig Lust verspüre, irgendwo zwischen Wiepke und Mieste an einer beliebigen Haustür zu klingeln und nach einem Bett zu fragen, murkse ich zurück nach Kalbe. Warum muß diese schöne Stadt nur in diesem Murks mit einbezogen werden... So kommt es, daß ich bei mageren 20km für diesen Tag bereits Feierabend einläute. Das Internet leitet mich zum "Center Hotel Altmark" und als ich um die Ecke biege, stockt mir der Atem. Links die Tankstelle. Rechts das 90er-Jahre-Einkaufszentrum  mit Rewe, Packstation und Asia-Shop. Obendrauf: Das Center Hotel Altmark (1. und 2. OG). Würdelos. Das Zimmer ist annehmbar, aus dem Fenster kann ich wenigstens auf den leeren Rewe-Parkplatz gucken. Doch der Murks geht weiter. Ich hätte mißtrauisch werden sollen, als mir die einzige Angestellte des Hauses erklärte, daß es bis 20:00 Uhr Essen gäbe, und zwar - Glitterkanone! - ein All-inclusive-Buffet (von dem ich im Übrigen immer noch aufstoßen muß). Als ich mich um 19:00 Uhr immer noch nicht dazu durchringen kann, Kalbe auf der Suche nach einem tröstendem Restaurant zu durchstreifen, wage ich es. Der Speisesaal ist brechend voll und ich bin platt. Die Kalbenser Bevölkerung geht Samstag Abend in dieses Hotel. Zum All-inclusive-Buffet. Ich hätte mehr von den Bewohnern einer so schönen Stadt erwartet. Überfordert rette ich mich mit einem müden Salat an einen fremdreservierten Tisch. Das nachfolgende Durchprobieren der verschiedenen Speisen hätte ich besser sein lassen, Murks folgte auf Murks. Tütenkram, geschmacklos aufgewärmt und lieblos angerichtet. Selbst der Nachtisch ist Murks, weil die Vanillesoße auf der Roten Grütze keine Soße, sondern Milch ist. Einzig lobenswert zu erwähnen: Der Kühlschrank mit Getränken "für unsere All-inclusive-Gäste". Die Cola ist richtig gut kalt, allerdings aus den anscheinend in allen Hotels üblichen 0,1-Liter-Saftgläsern auch schnell genossen.

Fassungslos verlasse ich den Ort des Grauens und weigere mich gleichzeitig, mich über die 15 EUR, die der Spaß gekostet hat, zu ärgern. Wieder eine Lektion gelernt: Dem Bauchgefühl vertrauen!

Der Murks endet mit der Erkenntnis, daß in der Fernbedienung des Fernsehers die Batterien leer sind und jetzt reicht´s mir endgültig. Brav telefoniere ich die geplanten Unterkünfte der nächsten Tage ab, nicht ohne mich vorher im Internet über Restaurantangebot, Lage und "Wohlfühlfaktor" zu informieren. Inzwischen hab ich mir da eigentlich schon nen ganz guten Spam-Filter zugelegt. Eigentlich. 


Wege durch die Altmark II...



Och nööö... Schon wieder stinkender Raps...

Aber nix da! Löwenzahn! Und zwar en masse...

So langsam, liebes Sachsen-Anhalt...

...wird´s ja wohl doch ein bißchen albern. Das schöne Dorf "Lüge" ist übrigens auch nicht weit. Im unten bebilderten Fall mußte ich übrigens RECHTS abbiegen.


P.S.: Der Vogel oben rechts ist Zufall, trotzdem aber gelungen.

Freitag, 30. April 2010

30.04.2010 - Tag 8
Arendsee - Mehrin
6 h / 24 km

Ein wirklich seltsames Wetter. Heute morgen wache ich auf und senkrechter Regen fällt an Schnüren vom Himmel. Entnervt lege ich mich wieder ins Bett, nur um 2h später strahlende Sonne vorzufinden. Der ganze restliche Tag fühlt sich an wie "Jetzt -  jäääätzt gleich geht der Regen los, dauert nicht mehr lange, Achtung...". Aber es bleibt trocken.

Durch Arendsee voller Vorfreude auf meine erste logistische Mission in Sachen "Packstation". Arendsee selber ist voller Freude über Horden von Jugendlichen, die am Vormittag offensichtlich stockbetrunken Autos anhalten, Spenden erpressen und "Viva Colonia" lallen. Warum sie nun ausgerechnet diesen Kracher ausgewählt haben, bleibt ihr Geheimnis. Mein Schatz von Family Fashion klärt mich auf, nachdem sie mir noch nen leeren Karton für die Packstation geschenkt hat: Das ist die Abschlußklasse. Der 10. Klasse Realschule. An der Packstation nehme ich voller Glück die Landkarten für die nächste Woche in Empfang, die Wiebke mir geschickt hat. Ich retourniere einen ganzen Berg voller unnützem Kram, den ich nicht länger im Rucksack mit herumschleppen will. Unter anderem - man darf mich gerne zu gegebener Zeit daran erinnern - meinen Regenschirm.

Raus aus Arendsee, wieder mal auf der Landstraße. Ich treffe zum dritten Mal die beiden Jungs im blauen Prolo-Polo, wie sie mit quietschenden Reifen aus der Tankstelle biegen. Ich muß lachen und sie freuen sich. Nach einer halben Stunde biege ich endlich in den Wald ab und stapfe über Sandwege meinen ersten richtigen Hügel auf dieser Tour hinauf. Verdammt, was freue ich mich doch auf den Harz.

Der Tag zieht unspannend an mich vorbei, ich kenne die Aussicht, ich kenne die Wege, ich kenne die Straßen. Ich kenne die Dörfer, die Geducktheit der Häuser hinter Hofeinfahrten und den Sog der LKWs auf der Landstraße. Ich kenne die Einsamkeit auf stillen Sandwegen und den Wind, der stetig von rechts kommt. Ich kenne die Schmerzen in den Füßen und in den Knien, kenne den Moment des Hinsetzens und den des Aufstehens.

Einziges Highlight: Der letzte Kick des Stadtburschens. Über eine Eisenbahnlinie huschen. Der dazugehörige Bahnübergang wurde schon vor Jahren entfernt, übrig ist nur noch ein altes DDR-Schild, sehr fragil an einem Batzen-Betonpfosten befestigt, die Farben schon so verwittert und verrostet, daß das Schild eher ein Negativ von sich selbst abgibt.

Kurz bevor ich im Hotel ankomme, wendet sich das für heute recht öde Blatt. Rechts aus dem Wald kommt ein alter Mann mit Hund, grüßt aus der Ferne und wir kommen schnell ins Gespräch. Er versteht sofort, was es mit meiner Tour auf sich hat, als ich ihm von meinem Bürojob erzähle. Er ist vor 4 Jahren in diese Gegend gezogen und hat sich hier einen alten Hof gekauft, erzählt von seinem Leben und seiner Ruhe in diesem Leben. Der Hund zieht längst gelangweilt großflächige Suchmuster am nahen Waldrand, am Ende sind wir eine halbe Stunde an der Straße gestanden und haben geredet. Und ich verabschiede mich per Handschlag von einem Mann, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Wege durch die Altmark...




Das erste blühende Rapsfeld dieses Jahr...

Donnerstag, 29. April 2010

Für Otti...

Über jedes Bacherl geht a Brückerl...

29.04.2010 - Tag 7
Lenzerwische - Arendsee
7 h / 30 km

Alle Helden brauchen mal Pause. Auch die Helden der Landstraße. ICH habe den gestrigen Tag ausschließlich mit Schlafen, Abhängen, Füße schonen, Badewanne und ähnlichen Dingen verbracht. Und es hat sich gelohnt: Ich kann wieder gehen. Locker, ohne zu humpeln. Fühlt sich gut an.

Heute früh beim Aufbruch werde ich belohnt für die schweren Stunden vor der Ankunft an der Elbe (vergleiche mein Genöle am 27.04.). Wunderschönes Wetter, die Elbe führt Hochwasser und in den Elbauen vor dem Deich brodelt das Leben. Alles ist ein einziger Schwarm Insekten, Schwalben führen ihre Raubzüge durch die Luft, hinten auf den Wiesen überall Störche und Kraniche, Enten über Enten, in den Altarmen der Elbe Fische und Otter. Das Leben tobt. Ich eiere auf dem Deich entlang nach Wootz, wo ich den Fischer treffen soll. Dort angekommen, sieht die Elbe erschreckend breit aus. Nix Bacherl@Brückerl.

Kein Fischer da, den hört man ein paar Minuten später aus dem Gorlebener Hafen dröhnen. Der Kollege fährt elegant auf den Elbestrand, die Radfahrer auf dem Deich staunen und ab geht´s rüber in den Westen. Niedersachsen ruft. Der Sportboothafen von Gorleben besteht aus 2 Stegen. Mit 3 Booten... Ansonsten ist Gorleben schnell durchschritten, es ist ein kleines Dorf am Rande von Nirgendwo. Irgendwie hatte ich ja was Anderes erwartet, irgendwelche Hinweise auf das Endlager. Protestplakate, was weiß ich. Aber: nüscht. Der Edeka-Markt auf der Dorfstraße preist sich selbst als zu vermietenden Gewerberaum. Ob das noch was wird? Am Straßenrand trottet ein freundlicher schwarzer Hund ohne Herrchen entlang, Oma fährt mit dem Fahrrad zum Bäcker und braucht kein Fahrradschloß dazu. Gorleben ist erstmal ein Dorf, das Endlager ist vermutlich irgendwo hinten im Wald. 

Sobald das letzte Haus von Gorleben hinter mir liegt, schließt ein staubig-heißer Kiefernwald alle Horizonte. Das sah auf der Karte schon beeindruckend aus, aber in Wirklichkeit ist es ein Gefühl von unendlicher Realitätsferne. Ich war schon in vielen Wäldern, aber in diesem Wald kommt auf den nächsten 20km nichts. Außer einer Straße, die meinen Weg quert und einem Forsthaus auf einer Waldlichtung. Ansonsten nur Wald, kein Zivilisationsmüll, keine Baumarktartikel. Heißer Kiefernwald, der in der Mittagssonne nach heißem Sand riecht. Ich schwitze wie ein Schwamm und habe alle meine Getränke viel zu schnell hinuntergespült. Mit dem Wald kommen die Mücken, Horden davon. Langsame, brave, gutmütige Mücken, die sich leicht erlegen lassen.

Beim Laufen über die sandigen Pisten kommt mir wieder der Gedanke des Transitlandes: Leeres Land, das dich immer nur achtlos weiterreicht. Und weiter. Und weiter, bis irgendwann etwas ganz Anderes kommt. Und dann ist man mit einem großen Seufzer endlich da. So, wie die letzten Kilometer vor dem Meer eigentlich niemanden interessieren und man nur noch darauf giert, endlich Wasser zu sehen. So, wie die Landschaft leer und eintönig ist, bis man oben auf dem Elbdeich steht und auf den majestätischen Fluß blickt und plötzlich ist alles anders. So ist es auch umgekehrt mit diesem Wald. Im Kalten Krieg eingefangen in einem toten Winkel zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt, mit dem Rücken zur Wand. Wo hätte man ein Atommüll-Endlager sonst hinstellen sollen...

Es wird drückend heiß, ich verfluche mich dafür, diese Wanderung vom Frühling in den Sommer romantisiert zu haben. Warum nicht im November? Für einen Moment wünscht sich ein kleiner Teil von mir eine Oma mit Eistruhe, dort gleich neben dem Forsthaus, das brav in der Sonne liegt. Statt dessen biegt der Weg gnadenlos auf die nächste Sandpiste ein, und so wird es auch für die nächsten 3 Stunden bleiben. Aber: ich bin im Westen. Die Förster fahren nicht mehr UAZ-Jeeps wie in den letzten Tagen, sondern LandRover. Als ich mich eine Stunde später zur Pause auf einem Stapel Baumstämme zwinge, kann ich es kaum glauben. In diesem verdammt riesigen Wald, mit hunderten von Baumstammstapeln -- auf welchen setze ich mich? Auf DEN, der direkt neben dem Weg liegt, auf dem 3 Minuten später ein Traktor mit noch mehr Baumstämmen im Schlepptau entlang kommt und mir zu verstehen gibt, daß er die Stämme gerne auf meinem Pausenstapel ablegen würde. Sprachlos ziehe ich weiter...

Kurz bevor der Wald ein Ende hat, die nächste Grenze. Mitten im Wald eine Schneise im losen Sand, auf meiner Seite hohe, alte Bäume. Vor mir 25m mit jungem Kroppzeug, dahinter der Kolonnenweg der Grenztruppen und dann wieder derselbe alte Wald. Mit ein paar schnellen Schritten bin ich drüben. Niedersachsen liegt hinter mir, ich bin wieder im Osten. 3 Bundesländer an einem Tag: Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt. DDR, BRD, DDR. 
Als ich kurz darauf den Wald verlasse und wieder auf dem Feld stehe, das nächste Dorf schon in Sichtweite, verstehe ich: Der Wald südlich von Gorleben ist immer noch der vergessene Teil von Niedersachsen, eingekesselt zwischen Elbe und der alten Grenze zwischen den zwei Staaten. Erst dahinter beginnt wieder das normale Landleben. Mit Bauernhöfen, Traktoren, geschlossenen Dorfgaststätten und stolzen Dorffeuerwehren.

Kurrz vor Arendsee bin ich bereit, für eine Flasche Wasser zu töten. Meinen letzten Schluck habe ich vor 3h getrunken. Wenn hier verdammt nochmal jemand auf der Straße zu sehen wäre, würde ich fragen, aber das Dorf duckt sich wie immer weg, als ich hindurchziehe. Am Ortsausgang dann ein wunderschönes Geschenk. Ein Hotel. Gott sei Dank nicht meins. Ich bin versucht, hier mein Glück um ein Getränk zu erleichtern, stelle aber erleichtert fest, daß die Bude zu ist. Wohl bekomm´s.
Zwei Kilometer weiter in Arendsee wird alles gut. Zu meiner Rechten der herrlich in der Sonne blinkende See, zu meiner Linken ein schlimmer Campingplatz mit Gästen aus der nahen Umgebung. Ein Schild macht mich darauf aufmerksam, daß ein Bungalow direkt an der Straße zu vermieten ist, mit toller Terrasse, die direkt an einem meterhohen Metallzaun mit anschließender gut befahrenen Straße liegt. Der Bungalow direkt daneben ist übrigens auch frei. Recht so.
Ich entere das Eiscafe "San Marco" und weiß im selben Moment, daß sich dahinter nichts Gutes verbergen kann. Der Laden sieht geschlossen aus, aber in den Tiefen der Spelunke werkelt eine gescheiterte Frau. Weise lasse ich die auf diversen Tafeln angebotenen Fischbrötchen links liegen und bestelle eine Spezi, die schneller getrunken ist, als sie bis auf meinen Tisch brauchte. Der nachfolgende Erdbeerbecher belohnt mich für den heißen Tag. Wie asselig die Terrasse ist, auf der ich sitze, bemerke ich erst danach. Aber es ist egal. Ich bin glücklich. Ich stelle brav den Baumarkt-Plastikstuhl wieder an den Tisch und vollende damit das Bild eines geschlossenen Eiscafes.

A technical announcement...

Auf vielfachen Hinweis: Ab sofort kann jeder Honk (auch unangemeldete) Kommentare zum Blog verfassen.

Mittwoch, 28. April 2010

Heute kein Fährbetrieb...

Ich hab´s ja für nen schlechten Scherz gehalten, als mit das Radlerpäarchen heute Nachmittag weismachen wollte, daß die Fähre über die Elbe nicht fährt. Die nächste Brücke flußabwärts ist ca. 25km entfernt, die nächste Fähre flußaufwärts ca. 15km. Die fährt allerdings auch nicht. Zonenrandgebiet at it´s best (auf der gegenüberliegenden Seite der Elbe übrigens: Gorleben). Und daß, wo ich zuhause brav die Sommer- UND Winterfahrpläne der Elbfähren studiert habe. Die lapidare Auskunft des Fährbetriebs: "Die Fähre ist zur Wartung in der Werft." Ab Montag dann wieder.

Die praktische/einzige/romantischste Lösung: Der Fischer aus Gorleben (vom dem das Hotel immer seine Fische bekommt) holt mich morgen ab und setzt mich über. Als hätte es so im Reisekatalog gestanden...

An die Elbe, an die Grenze.

27.04.2010 - Tag 5
Glaisin - Lenzerwische
6,5 h / 27 km

Landstraßen, Landstraßen, Landstraßen. Mecklenburg-Vorpommern ist Fahrradland. Viel zu wenig Wege führen für einen Wanderer hindurch. Wer nicht auf der Straße laufen will, muß große Bögen schlagen. Wer schöne Wege gehen will, sollte besser sehr viel Zeit haben.

Schon der Start am Morgen ist qualvoll. Ich hinke südwärts aus Glaisin heraus, drehe mich irgendwann um und habe die letzten Häuser doch gerade eben erst hinter mir gelassen. Das geht ja gut los. Die erste Hälfte des Tages ist kein Spaß, abwechselnd Asphalt und weiche Sandböden (die bei jedem Schritt einen Eßlöffel Sand in den hinteren Stiefelschaft befördern). Schnurgerade Straßen, auf denen ich mich dazu zwinge, mich nicht umzudrehen. Nur nach vorne.

Der Tag ist windig, aber trocken. Das Land ist leer, in den Dörfern sind kaum Menschen zu sehen. Selbst die Hunde verzichten müde auf´s Anschlagen, wenn ich vorbeigehe. Ich fädele die Dörfer auf wie auf einer Schnur, in der Gewißheit, daß ich diesen Rosenkranz nicht ein zweites Mal beten muß. Den Blick für die Schönheit der Landschaft habe ich an einem solchen Tag schnell verloren. Erst als ich hinter Ließe endlich den Waldrand erreiche, fühle ich mich besser. Für die nächsten zwei Stunden habe ich den Weg für mich alleine und sehe außer Bäumen nichts. Gar nichts.


In Eldenburg realisiere ich, daß ich Mecklenburg-Vorpommern hinter mir gelassen habe. Jetzt: Brandenburg. Oh Gott. Fast schwingen ein wenig heimatliche Klänge dabei mit... Gleich hinter dem Ort beginnt eine öde grüne Landschaft, bretteben und ohne Halt für´s Auge. Der Fahrradfahrer mag´s schön finden (ich wünsche ihm zur Strafe Gegenwind), "Schöner Wandern" sieht allerdings anders aus. In rechtwinkeligen Straßen bringen mich die letzten Kilometer zum Wahnsinn, ich kann nicht mehr. Entfernungen, die sie locker aussehen, ziehen sich plötzlich ins Unendliche. Wenn jetzt ein Auto neben mir anhalten würde, müsste ich nicht lange überlegen. Nicht einmal mehr die Aussicht auf den Urlaubstag, den ich mir morgen gönnen will, hält mich noch aufrecht.
Im Hotel schließlich eine wahre Explosion an Wonne. Ein reetgedeckter Hof direkt am Elbdeich, mein Zimmer unterm Dach. Mit Badewanne. Ich sinke in das heiße Wasser und preise für die nächste Stunde die Segnungen der Zivilisation. Das Speisekarte ist gehoben, das Essen leider nicht.

Durch den Wald, in den Regen.

26.04.2010 - Tag 4
Gammelin - Glaisin
8 h / 36 km

Hinter dem Dorf lockt schon der Waldrand. Nach den letzten Tagen Wandern zwischen Feldern, Feldern und Feldern freue ich mich tierisch darauf, endlich mal wieder Wald um mich zu haben. Schon von weitem höre ich die Autobahn (A24) brüllen, aber es dauert noch eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich davor stehe. Ich könnte elegant die Unterführung des kleinen Flusses unter der Autobahn nutzen, um ohne Umweg weiter zu kommen, aber mich reizt der Blick von der Autobahnbrücke 500m weiter. Es fühlt sich seltsam an, aber dort könnte einer der wenigen Punkte dieser Reise sein, an denen ich schonmal vorher war. Irgendwo auf der Autobahn zwischen Berlin und Hamburg... Oben auf der Brücke angekommen, dann eine Enttäuschung: Ich erkenne nichts wieder.

Die Realität fängt mich dafür umso härter wieder ein. Den nächsten Kilometer bis zum Beginn des Waldes laufe ich auf der B321, hart zwischen Leitplanke und Asphalt. Daß man dabei besser seinen Hut festhält, damit er nicht vom Fahrtwind vorbeifahrender LKWs runtergerissen wird, habe ich bereits gelernt. Als ich hektisch wie ein Kaninchen die Einmündung am Autobahnzubringer überquere, wird es mir entschieden zu knapp mit all den Autos und ich steige lieber die Böschung hinunter. Kurz darauf fährt ein Polizeijeep aufreizend langsam an mir vorbei, ich lege mir schonmal flotte Sprüche zurecht, aber leider lassen sich die Herren nicht dazu herab, mich anzuhalten. Also tauche ich unversehrt und unbehelligt in den Wald ein.

Wieder die Gewißheit des ostdeutschen Waldes, daß bestimmt seit Monaten kein Wanderer mehr diesen Weg entlang gegangen ist. Wieder diese Leere eines Waldes, der nur aus Bäumen und aus Kraut, aber nichts dazwischen besteht. Man merkt, daß Brandenburg näher kommt. Ich überquere vorsichtig eine Eisenbahnlinie, die alle Wege in diesem Waldstück voneinander abgeschnitten hat.

Als ich das Dorf Moraas verlasse, lese ich interessiert die Informationstafel an der alten Kirche. Welch seltene Form von Selbstkritik, der Verfasser nennt den ehemaligen Anbau an den alten Glockenturm "garagenartig". Wie recht er dabei doch hat. Beim Weiterlaufen schlägt der Pausenteufel wieder zu. Der kleine Zeh hämmert und ich humpele wieder vorwärts. Die Oberschenkel beruhigen sich nach 10min Gehen wieder, aber der Schmerz im Fuß bleibt.

Es beginnt zu regnen. Nur ganz leicht, aber ausdauernd. Als ich die B5 überquere, ringe ich mich doch dazu durch, die Regenjacke anzuziehen. Die Kapitulation vor dem Wetter. Ich bin nun 5 h unterwegs und wäre am liebsten schon da. Jeder Schritt tut weh, ab jetzt geht´s eigentlich nur noch um´s Ankommen. In Alt Krenzlin tröste ich mich mit einer kleinen Pause in einem stalinistischen Bushäuschen und einigen Tropfen aus meinem Flachmann, was ich wieder bitter mit den Schmerzen des Wieder-Los-Laufens bezahle. Der Körper kommt nicht mehr in Schwung, ich bin für den Rest des Tages nur noch ein humpelndes Ding auf der nassen Landstraße. Spätestens im letzten Ort vor meinem heutigen Ziel Glaisin würde ich mich am liebsten hinwerfen -- als ich dann am Ortsausgang noch das ermunternde Schild "Glaisin 5km" lese, packt mich der Frust. Die letzte Stunde Weg führt über eine asphaltierte Straße kerzengerade durch den Wald. Ich packe den iPod aus, um mich abzulenken und komme irgendwann - vollkommen entnervt - an.

Der Forsthof ist traumhaft, die Mädels spendieren mir ein Doppelzimmer unter dem Dach mit herrlichem Fachwerk. Die Untersuchung meiner Füße nach dem Duschen läßt Böses für die nächsten Tage erahnen. Bevor ich zum Essen hinuntergehe, liege ich noch eine Stunde im Bett. Der Körper pumpt und heizt und schmerzt. Draußen tropft der Regen im Garten. Beim Essen wieder der einzige Gast. Mit einem einzigen Wunsch: Soljanka und Schnitzel.

Es hat schonmal mehr Spaß gemacht!

Wie sich das Blatt doch wenden kann. Ein durchaus netter Tag kann durch aufkommenden Regen, kaputte Füße und sich-bis-ins-endlose-ziehende-Landstraßen am Schluß der Tour zu einem unspaßigen Trip verwandeln, bei dem es nur noch um´s Ankommen geht.

Hier die Metamorphose des Kilian G. live zum Miterleben:

Nach 10km (alles noch wunderbar):














Nach 25km (leichte.entnervtheit@regen.de):













Und nach 35km hat er dann auch genug. Hatterhatter. Man beachte die iPod-Stöpsel, weil: Mit Musik geht alles besser.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...

Ich weiß die Vorsicht der Mecklenburgischen Landesforsten zwar zu schätzen, welchen tieferen Sinn dieses Schild aber, in 4m Höhe an einem Baum innerhalb einer eingezäunten Schonung aufgehängt, haben soll, bleibt meinem kleinteiligen Geist verschlossen.

Sonntag, 25. April 2010

Tanz in den Mai: Fällt aus!

25.04.2010 - Tag 3
Gadebusch - Gammelin
7 h / 30 km

Das Land wird weniger leer. Nicht voller, wohlgemerkt, aber weniger kahl. Heute bin ich den ganzen Tag in Alleen unterwegs, die ein bißchen Schatten spenden an diesem ersten Sommertag. Vorgestern noch gab´s keine Bäume. Jetzt stehen immer wieder kleine Wäldchen am Wegesrand, an denen vorbei oder durch die hindurch der Weg führt. Dazu Alleen, deren Bäume schwer hinter den vor Grün bereits strotzenden Büschen hinterher hinken. Schwerfälliges Kroppzeug...

Es ist spürbar Wochenende, kurz hinter Pokrent kommt mir die erste Joggerin entgegen. Kurz danach die ersten Radfahrer. Es werden bei weitem nicht die einzigen bleiben. Wanderer sehe ich aber keinen. Seit dem Start in Boltenhagen nicht einen einzigen. Mittags will ich schon eine alte Frau mit Hund zur "Wandersfrau ehrenhalber" erklären, weil sie vor mir meine Landstraße entlangläuft, auf der in den nächsten 4 Kilometern kein Abzweig mehr kommt. Kurz bevor ich sie einhole, kommt uns ein jugendlicher Dorfpunk mit grünem Iro entgegen, bremst sein Fahrrad und umarmt die Oma. Bevor es zum Zungenkuss kommt, schaue ich schnell betreten weg: Die Oma mit Rock und Hund ist ungefähr 17 und hat nur schneeweiß gefärbte Haare.

Die Dörfer sind immer noch schön, voller Backstein. Nur die Reetdächer werden seltener. Gesprengte Schlösser und übrig gebliebene Schloßparks, Nordwest-Mecklenburg putzt seine alten IFA-Feuerwehrautos.

Nach vier Stunden steige ich mutig über einen Stacheldrahtzaun und lege mich unter eine riesige Eiche auf die Wiese. Ein paar hundert Meter weiter äsen ein paar Rehe, registrieren mich zwar, lassen sich aber nicht stören. Als ich wieder los will, erinnere ich mich, warum ich so ungerne Pause mache. Danach ist alles schlimmer. Meine Knie, meine Oberschenkel und der verdammte rechte kleine Zeh. Alles tut weg und ich schaffe es nur humpelnd zurück zur Straße. Nach 100m ist Schluß: Der Stiefel muß runter. Ich ziehe vorsichtig die rechte Socke aus und sehe das Malheur. Die Blase ist aufgeplatzt, unter dem halb abgefledderten Blasenpflaster leuchtet schon das Fleisch. Unter Tränen schneide ich die Fetzen des Pflasters weg und baue alles neu auf. Nur weitere 200m später hält ein Autofahrer neben mir, der die erbärmliche Humpelei anscheinend von hinten mit angesehen hat. Er biete an, mich bis Wittenburg mizunehmen. Ich lehne tapfer ab und als ich weiterlaufe, mache ich innerhalb von 20 min die Metamorphose vom humpelnden Fußlahmen zum kaltschnäuzigen Wanderer durch. Natürlich tut´s noch weh, aber es ist nur erträglich, wenn ich weiterlaufe.

Irgendwann lande ich in Gammelin, betrete den Landgasthof und ernüchtere im nächsten Moment. Alles leer, nur ganz vorne an der Theke hängt ein Inventar-Säufer, der bis zur Tür nach Alkohol riecht. Aha, die Mädels klönen in der Küche, mit Erstaunen nehmen sie zur Kenntnis, daß ich ein Zimmer will. "Da hat schon lange keine mehr nach gefragt..." höre ich im Hintergrund aus der Küche, als ich mich mit meinem Belohnungs-Spezi in den Garten verziehe. Es folgt das obligatorische Abklopfen der Zeiten, wann man morgen früh frühstücken will (ich bin offensichtlich der einzige Gast) und zu aller Krönung zeigt mir dann der Säufer mein Zimmer. Und hat nen Generalschlüssel...

Frisch geduscht liege ich erst einmal eine Stunde im Bett und spüre meine Muskeln sich versteifen. Nur die Beine nicht zu weit anziehen, ich kann den Krampf schon kommen spüren. Draußen auf der Hauptstraße fährt ungefähr alle 25 Minuten ein Auto vorbei, ansonsten sind nur Vögel und manchmal im Hintergrund ein paar Kinder zu hören. Als ich am frühen Abend zum Essen runtergehe, bin ich wieder mit dem Universum versöhnt. Es sind noch ein paar Essensgäste da, ich sitze im Garten, streichle die Katze und betrachte die lässige Dekoration (Steinhaufen, in den Busch eingewachsene Gießkanne, prall gefüllter Feuerkorb, Tische und Bänke in vielen Ecken des Gartens versteckt). Und ich ahne, daß mein erster Eindruck dieses Gasthofs mich getäuscht hat. Die Besitzerin kommt, stellt sich herzlich mit Namen vor, ich bestelle meine übliche Soljanka und Schnitzel und werde nicht enttäuscht. Ihr Mann ist ebenfalls deutlich netter als der Säufer von vorhin und plötzlich fühle ich mich sauwohl.

Abends telefoniere ich dann die Unterkünfte der nächsten zwei Tage durch und habe Glück. Die Entscheidung, morgen entweder meine Füße zu schonen oder die 2 x 16km zu einer Tagesetappe zu machen, wird mir durch den am Dienstag voll gebuchten Forsthof Glaisin abgenommen. Morgen also wieder großer Marsch, aber ich hab es ja so gewollt. Die Eidechse von heute Mittag soll mich an die flinken Füße erinnern, die ich noch brauchen werde. Es soll regnen morgen, aber ich darf dafür fast den ganzen Tag durch den Wald gehen. Und ich freue mich drauf wie ein Schneekönig!