Gammelin - Glaisin
8 h / 36 km
Hinter dem Dorf lockt schon der Waldrand. Nach den letzten Tagen Wandern zwischen Feldern, Feldern und Feldern freue ich mich tierisch darauf, endlich mal wieder Wald um mich zu haben. Schon von weitem höre ich die Autobahn (A24) brüllen, aber es dauert noch eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich davor stehe. Ich könnte elegant die Unterführung des kleinen Flusses unter der Autobahn nutzen, um ohne Umweg weiter zu kommen, aber mich reizt der Blick von der Autobahnbrücke 500m weiter. Es fühlt sich seltsam an, aber dort könnte einer der wenigen Punkte dieser Reise sein, an denen ich schonmal vorher war. Irgendwo auf der Autobahn zwischen Berlin und Hamburg... Oben auf der Brücke angekommen, dann eine Enttäuschung: Ich erkenne nichts wieder.
Die Realität fängt mich dafür umso härter wieder ein. Den nächsten Kilometer bis zum Beginn des Waldes laufe ich auf der B321, hart zwischen Leitplanke und Asphalt. Daß man dabei besser seinen Hut festhält, damit er nicht vom Fahrtwind vorbeifahrender LKWs runtergerissen wird, habe ich bereits gelernt. Als ich hektisch wie ein Kaninchen die Einmündung am Autobahnzubringer überquere, wird es mir entschieden zu knapp mit all den Autos und ich steige lieber die Böschung hinunter. Kurz darauf fährt ein Polizeijeep aufreizend langsam an mir vorbei, ich lege mir schonmal flotte Sprüche zurecht, aber leider lassen sich die Herren nicht dazu herab, mich anzuhalten. Also tauche ich unversehrt und unbehelligt in den Wald ein.
Wieder die Gewißheit des ostdeutschen Waldes, daß bestimmt seit Monaten kein Wanderer mehr diesen Weg entlang gegangen ist. Wieder diese Leere eines Waldes, der nur aus Bäumen und aus Kraut, aber nichts dazwischen besteht. Man merkt, daß Brandenburg näher kommt. Ich überquere vorsichtig eine Eisenbahnlinie, die alle Wege in diesem Waldstück voneinander abgeschnitten hat.
Als ich das Dorf Moraas verlasse, lese ich interessiert die Informationstafel an der alten Kirche. Welch seltene Form von Selbstkritik, der Verfasser nennt den ehemaligen Anbau an den alten Glockenturm "garagenartig". Wie recht er dabei doch hat. Beim Weiterlaufen schlägt der Pausenteufel wieder zu. Der kleine Zeh hämmert und ich humpele wieder vorwärts. Die Oberschenkel beruhigen sich nach 10min Gehen wieder, aber der Schmerz im Fuß bleibt.
Es beginnt zu regnen. Nur ganz leicht, aber ausdauernd. Als ich die B5 überquere, ringe ich mich doch dazu durch, die Regenjacke anzuziehen. Die Kapitulation vor dem Wetter. Ich bin nun 5 h unterwegs und wäre am liebsten schon da. Jeder Schritt tut weh, ab jetzt geht´s eigentlich nur noch um´s Ankommen. In Alt Krenzlin tröste ich mich mit einer kleinen Pause in einem stalinistischen Bushäuschen und einigen Tropfen aus meinem Flachmann, was ich wieder bitter mit den Schmerzen des Wieder-Los-Laufens bezahle. Der Körper kommt nicht mehr in Schwung, ich bin für den Rest des Tages nur noch ein humpelndes Ding auf der nassen Landstraße. Spätestens im letzten Ort vor meinem heutigen Ziel Glaisin würde ich mich am liebsten hinwerfen -- als ich dann am Ortsausgang noch das ermunternde Schild "Glaisin 5km" lese, packt mich der Frust. Die letzte Stunde Weg führt über eine asphaltierte Straße kerzengerade durch den Wald. Ich packe den iPod aus, um mich abzulenken und komme irgendwann - vollkommen entnervt - an.
Der Forsthof ist traumhaft, die Mädels spendieren mir ein Doppelzimmer unter dem Dach mit herrlichem Fachwerk. Die Untersuchung meiner Füße nach dem Duschen läßt Böses für die nächsten Tage erahnen. Bevor ich zum Essen hinuntergehe, liege ich noch eine Stunde im Bett. Der Körper pumpt und heizt und schmerzt. Draußen tropft der Regen im Garten. Beim Essen wieder der einzige Gast. Mit einem einzigen Wunsch: Soljanka und Schnitzel.
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