Sonntag, 25. April 2010

Tanz in den Mai: Fällt aus!

25.04.2010 - Tag 3
Gadebusch - Gammelin
7 h / 30 km

Das Land wird weniger leer. Nicht voller, wohlgemerkt, aber weniger kahl. Heute bin ich den ganzen Tag in Alleen unterwegs, die ein bißchen Schatten spenden an diesem ersten Sommertag. Vorgestern noch gab´s keine Bäume. Jetzt stehen immer wieder kleine Wäldchen am Wegesrand, an denen vorbei oder durch die hindurch der Weg führt. Dazu Alleen, deren Bäume schwer hinter den vor Grün bereits strotzenden Büschen hinterher hinken. Schwerfälliges Kroppzeug...

Es ist spürbar Wochenende, kurz hinter Pokrent kommt mir die erste Joggerin entgegen. Kurz danach die ersten Radfahrer. Es werden bei weitem nicht die einzigen bleiben. Wanderer sehe ich aber keinen. Seit dem Start in Boltenhagen nicht einen einzigen. Mittags will ich schon eine alte Frau mit Hund zur "Wandersfrau ehrenhalber" erklären, weil sie vor mir meine Landstraße entlangläuft, auf der in den nächsten 4 Kilometern kein Abzweig mehr kommt. Kurz bevor ich sie einhole, kommt uns ein jugendlicher Dorfpunk mit grünem Iro entgegen, bremst sein Fahrrad und umarmt die Oma. Bevor es zum Zungenkuss kommt, schaue ich schnell betreten weg: Die Oma mit Rock und Hund ist ungefähr 17 und hat nur schneeweiß gefärbte Haare.

Die Dörfer sind immer noch schön, voller Backstein. Nur die Reetdächer werden seltener. Gesprengte Schlösser und übrig gebliebene Schloßparks, Nordwest-Mecklenburg putzt seine alten IFA-Feuerwehrautos.

Nach vier Stunden steige ich mutig über einen Stacheldrahtzaun und lege mich unter eine riesige Eiche auf die Wiese. Ein paar hundert Meter weiter äsen ein paar Rehe, registrieren mich zwar, lassen sich aber nicht stören. Als ich wieder los will, erinnere ich mich, warum ich so ungerne Pause mache. Danach ist alles schlimmer. Meine Knie, meine Oberschenkel und der verdammte rechte kleine Zeh. Alles tut weg und ich schaffe es nur humpelnd zurück zur Straße. Nach 100m ist Schluß: Der Stiefel muß runter. Ich ziehe vorsichtig die rechte Socke aus und sehe das Malheur. Die Blase ist aufgeplatzt, unter dem halb abgefledderten Blasenpflaster leuchtet schon das Fleisch. Unter Tränen schneide ich die Fetzen des Pflasters weg und baue alles neu auf. Nur weitere 200m später hält ein Autofahrer neben mir, der die erbärmliche Humpelei anscheinend von hinten mit angesehen hat. Er biete an, mich bis Wittenburg mizunehmen. Ich lehne tapfer ab und als ich weiterlaufe, mache ich innerhalb von 20 min die Metamorphose vom humpelnden Fußlahmen zum kaltschnäuzigen Wanderer durch. Natürlich tut´s noch weh, aber es ist nur erträglich, wenn ich weiterlaufe.

Irgendwann lande ich in Gammelin, betrete den Landgasthof und ernüchtere im nächsten Moment. Alles leer, nur ganz vorne an der Theke hängt ein Inventar-Säufer, der bis zur Tür nach Alkohol riecht. Aha, die Mädels klönen in der Küche, mit Erstaunen nehmen sie zur Kenntnis, daß ich ein Zimmer will. "Da hat schon lange keine mehr nach gefragt..." höre ich im Hintergrund aus der Küche, als ich mich mit meinem Belohnungs-Spezi in den Garten verziehe. Es folgt das obligatorische Abklopfen der Zeiten, wann man morgen früh frühstücken will (ich bin offensichtlich der einzige Gast) und zu aller Krönung zeigt mir dann der Säufer mein Zimmer. Und hat nen Generalschlüssel...

Frisch geduscht liege ich erst einmal eine Stunde im Bett und spüre meine Muskeln sich versteifen. Nur die Beine nicht zu weit anziehen, ich kann den Krampf schon kommen spüren. Draußen auf der Hauptstraße fährt ungefähr alle 25 Minuten ein Auto vorbei, ansonsten sind nur Vögel und manchmal im Hintergrund ein paar Kinder zu hören. Als ich am frühen Abend zum Essen runtergehe, bin ich wieder mit dem Universum versöhnt. Es sind noch ein paar Essensgäste da, ich sitze im Garten, streichle die Katze und betrachte die lässige Dekoration (Steinhaufen, in den Busch eingewachsene Gießkanne, prall gefüllter Feuerkorb, Tische und Bänke in vielen Ecken des Gartens versteckt). Und ich ahne, daß mein erster Eindruck dieses Gasthofs mich getäuscht hat. Die Besitzerin kommt, stellt sich herzlich mit Namen vor, ich bestelle meine übliche Soljanka und Schnitzel und werde nicht enttäuscht. Ihr Mann ist ebenfalls deutlich netter als der Säufer von vorhin und plötzlich fühle ich mich sauwohl.

Abends telefoniere ich dann die Unterkünfte der nächsten zwei Tage durch und habe Glück. Die Entscheidung, morgen entweder meine Füße zu schonen oder die 2 x 16km zu einer Tagesetappe zu machen, wird mir durch den am Dienstag voll gebuchten Forsthof Glaisin abgenommen. Morgen also wieder großer Marsch, aber ich hab es ja so gewollt. Die Eidechse von heute Mittag soll mich an die flinken Füße erinnern, die ich noch brauchen werde. Es soll regnen morgen, aber ich darf dafür fast den ganzen Tag durch den Wald gehen. Und ich freue mich drauf wie ein Schneekönig!

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