Samstag, 24. April 2010

Glut und Schmerzen.

24.04.2010 - Tag 2
Grevesmühlen - Gadebusch
6,5 h / 26 km

Sieht man den Sonnenbrand schon? Hier eher noch nicht...


Nach einem enttäuschenden Frühstück verlasse ich das Hotel, decke mich bei Sky mit einem Snickers-Notvorrat ein und verlasse schleunigst die Bitterkeit der Grevesmühlener Realität. Überall werden die Vorgärten geharkt und die Straße gefegt. Manche Vorgärten sind mehr gefurchte Sandwüsten als Vorgärten. Argwöhnisch wird mein Vorbeiziehen beobachtet, um knapp hinter mir den vorbeiradelnden Nachbarn mit einigen knappen Worten zu würdigen. So kann man´s auch machen: Statt sich Samstagvormittag nen krummen Rücken oder Schwielen an den Händen einzuhandeln: fix ein Frühstücksbier getrunken und langsam die Dorfstraße entlang geradelt. Wer zuerst "Na, so früh schon fleißig?" herüberfloskelt, hat gewonnen und muß keine Rückfragen fürchten, wie´s denn wohl vor der eigenen Haustür aussieht. Zur Not hilft ein schneller Pedaltritt und weiter zum Nächsten...
Sobald ich die letzte geteerte Straße verlassen habe, geht es nur noch geradeaus. An trockenen Feldern vorbei, auf staubigen Sandwegen, auf rohem Kopfsteinpflaster. Echte Feldwege für ein stundenlanges Zwischendurchschlängeln, ohne einem Auto zu begegnen. Die Dörfer, die ich durchquere, wirken wir Kulissen. Sie ziehen vorbei, mit ihren endlosen Backsteinbauten, Metallzäunen, verbarrikadierten Haustüren (weil man mit dem Auto sowieso immer außenrum auf den Hof fährt -- zu Fuß geht hier keiner zum Nachbarn), ängstlichen Katzen und der großen Leere vor dem ersten und nach dem letzten Haus.
Der Tag geht vorbei mit einem ewigen Geradeaus, das nur einmal unterbrochen wird. Ein kurzes Stück durch den Wald verspricht Abwechslung, doch je näher ich dem Wald komme, desto deutlicher höre ich das vielstimmige Motorsägenkonzert. Kurz vor den ersten Bäumen stehen 5-6 Autos auf der Wiese, eines davon mit der Werbeaufschrift des Hotels mit dem doofen Frühstück von heute morgen. Eine Horde Männer zerteilt Baumstämme. Auf meinem Weg. Ich verzichte auf den Spießrutenlauf und biege mit Kennerblick auf die Karte rechts ab in den nächstbesten Holzweg. Die Blicke der Säger kann ich förmlich im Rücken spüren... Der Weg endet nach 100m, bei der tapferen Durchquerung der anschließenden Waldlichtung sammle ich meine ersten Zecken ein. Sie haben nicht viel Freude mit mir... Quer durch den Wald stoße ich nach ein paar Minuten wieder auf den Weg, den ich eigentlich nehmen wollte und bin stolz auf meinen inneren Kompaß. Kurz darauf hat mich das ewige Feld mit seinen Sandwegen wieder.
Auf der ersten großen Rast an diesem Tag sitze ich nur am Waldrand in der Sonne und verbummle die Zeit. Lese ein bißchen, spüre, daß eine Stelle am rechten kleinen Zeh brodelt. Ich habe Angst, die Stiefel auszuziehen und ignoriere den Schmerz. Als ich nach einer halben Stunde wieder weitergehe, muß ich erst den Rost der Rast wieder abkratzen. Alles ist verstockt: die Knie, die Füße, die Schultern, die Hüfte. Alles rebelliert. Nach ein paar hundert Metern wird es besser, der Schmerz in den Schultern und am kleinen Zeh bleibt.
Gadebusch hat´s. Eine Altstadt, wie eine Altstadt sein soll. Mit einem verfallenen Schloß, einem See, um den die Einwohner am Samstag Nachmittag herumflanieren können. Schmale Gassen mit alten schmalen Backsteinhäusern. Eine imposante Kirche. Ein Traum. Wem Gadebusch gefällt, der kann bei Grevesmühlen nur würgen.
Es ist viel zu früh, das Hotel hat noch gar nicht geöffnet, also setze ich mich an den See und traue mich endlich, mich der Stiefel zu entledigen. Es grüßt mich eine prall gefüllte Blase am kleinen Zeh. Urks. Ich stelle mich barfuß neben die pittoreske Brücke in den kleinen Bach und lasse wohlige Schauer über meinen Rücken laufen, während das eiskalte Wasser auf meine Füße einsticht. Die nächste Stunde verbringe ich mit Lesen, wobei ich gekonnt alle Spaziergänger ignoriere, was sie mir mit Gleichem honorieren. Währenddessen rudert ein bemerkenswert geduldiger Kerl eine Horde Kinder auf einem Floß kreuz und quer durch den See. Das Highlight: eine leere Pfandflasche im Wasser. "EINE FLASCHENPOST!!!!!"


Später im Hotel bemerke ich beim Duschen, daß verschiedene Partien meines Körpers ganz verschieden auf heißes Wasser reagieren. Meine Arme und Hände haben gut Sonnenbrand bekommen, auch das Gesicht und die Unterschenkel spannen. Beim Fernsehen am frühen Abend wird mit plötzlich dermaßen kalt, daß nur das sofortige Anlegen sämtlicher langer Kleidungsstücke nach ein paar Minuten endlich Linderung bringt. Ich erinnere mich an den Zusammenhang von Hunger und Frieren und beschließe, sofort zu Abend zu Essen. Der Gastraum ist knallvoll, ich besetze den letzten Tisch und bestelle viel zu viel. Vom Gefühl her könnte ich ganze Rinder aufessen, muß aber nach dem halben Kartoffelgratin kapitulieren. Mit dem seligen Säuseln von zwei Alstern schwebe ich auf mein Zimmer...





Immer geradeaus.







Flashback - Grevesmühlen

Ich muß noch schlimme Bilder nachliefern. Bilder von Grevesmühlen...


Noch mehr Leere...





Ich beginne, Gefallen daran zu finden.

Für Pussel...

Freitag, 23. April 2010

Landmaschinenland.

23.04.2010 - Tag 1
Boltenhagen - Grevesmühlen
6 h / 24 km

Meine Aufregung war in den letzten Tagen immer weiter gestiegen. Heute morgen ist es so schlimm, daß ich unmöglich frühstücken kann, nach einer Scheibe Knäckebrot und einem Glas Saft ist Schluß.
Mein Rucksack wartet fertig gepackt und fühlt sich noch immer trügerisch leicht an. Viel leichter als auf meinen Touren durch Norwegen, rede ich mir ein. Ähnlich trügerisch erzählt die Sonne das Blaue vom Himmel und verspricht wundervolles Wetter, um nur zehn Minuten später meinen kondensierenden Atem zu beleuchten.
Als ich meine Haustür abschließe, rast kurz ein „Ach du Scheiße“ durch meinen Kopf. Jetzt. Geht es los. Der Weg zur Bahn, im Gegenstrom der Pendler, fühlt sich bemerkenswert absurd an. Es bessert sich erst, als ich am Hauptbahnhof in den Zug nach Norden steige und untertauche in der Masse der Menschen, die auch ein fernes Ziel haben. Das herrliche Gefühl des Fremden, Orientierungslosen, die Herausforderung des Neuen erfasst mich erstmals auf dem Bahnhof in Wismar, wo ich dank Zugverspätung den Anschlußbus suche. Panisch, noch im Modus „So ist es geplant, so muß es klappen.“ Die letzten 45 min organisierte Reise.

Boltenhagen präsentiert sich dem Erholung Suchenden als klassisches Kurdorf, das mehr aus sich machen will, als eigentlich angemessen wäre. Die Mittelpromenade besteht aus dem Weg von der Hauptstraße zum Meer. Es riecht nach Pommes und Gyros. Und es gibt Postkarten. Und mausgraue Rentnerinnen mit Sahnelust in den Augen. Auf der Seebrücke dann der nächste Schwall von „Ach du Scheiße“. Der Blick nach vorne in die Ostsee zeigt ganz klar eine Sackgasse, also hilft nur: Umdrehen und die Reise beginnen.
Der Hunger drängt mich in die kleinste Bäckerei, die ich je betreten habe. Und belohnt mich ätzenderweise denselben Aufback-Teigwaren, die ich beim schlimmen Türkenbäcker bei mir zuhause an der Ecke kriege. Der Türkenbäcker, der die Wespen am Kuchen mit der Gabel zerdrückt und die Gabel dann wieder in die Schublade zurücklegt... Boltenhagen liegt dankenswerterweise nach insgesamt nur zwei Häuserreihen schnell hinter mir, ohne mir natürlich noch stolz seinen Großparkplatz samt zugehöriger Kloake vorzuenthalten.
Sofort auf dem nächsten Feld bin ich alleine und merke sofort das Vertraute des Wanderns. Diese Bewegungsabläufe kenne ich. Das Land ist leer hier, sehr leer. Breit, endlos und ohne Rahmen. Bemerkenswert hügelig, was aber nicht zur Lieblichkeit beiträgt. Die Straßen dazwischen sind reine Mittel zum Zweck, reines Verbinden von Dörfern oder einzelnen Häusern. Kein Weg, kein Pfad, alles straff gepflügt. Mit jeder Aussaat wieder dem Waldrand einen Meter abgetrotzt. Und auch die Straßen sind leer. Bei vielen fragt man sich, warum sie überhaupt jemals asphaltiert wurden.

Hier einige Aggregatszustände von "Leere":









Aber es gibt Lichtblicke: Erstaunlich schöne Häuser, die ich nicht erwartet hätte.

Später drängt sich Wald ins Bild, erschlägt mich förmlich mit einem Muttitraum von Buschwindröschen. Und Grün. Zartes, helles, fast noch gelbliches Grün, das unumkehrbar die Explosion begonnen hat. Und Laubwald. Erst nach vier Stunden Weg sehe ich das erste Stückchen Nadelwald und fühle mich sofort wohl.

Der letzte Ort vor dem Ziel für heute belohnt mich mit einem improvisierten Aussichtsturm auf einer Trafostation. Grevesmühlen liegt unter mir und droht mit seinen Gewerbegebieten. Von hier oben ist auch das Meer noch sehen, was einigermaßen unfair ist. Das Wetter versucht sich abermals zwischen Sonne und Regen zu entscheiden und bleibt doch wieder im Vagen. Die letzte Stunde am See entlang wiegt mich in romantisch-trügerischer Sicherheit, bevor mich das Panorama eines verlassenen Schwimmbades vor Plattenbauten auf die Konfrontation mit einem unglaublich häßlichen Ort einstimmt. All die Nettigkeit der Dörfer mit ihren Walmdächern, Reetdächern, Fachwerkhäusern und Backsteinbauten ist für den Moment fortgewischt von der Häßlichkeit von Grevensmühlen mit bröckelnden Betonfassaden, geschlossenen Pensionen, lieblosen Autowerkstätten, Sky-Supermärkten und dem Hotel, in dem ich absteige.

Eine gesunde Portion Mißtrauen habe ich mir schon angewöhnt, die mich davon abhält, vom Namen eines Hotels auf die Lieblichkeit zu schließen. Nach einem netten Versuch der Dame an der Rezeption, mich mit einem Zimmer im Treppenhaus abzuspeisen, drückt sie mir die nächste Gemeinheit rein. Aus Liebe zum Gast: Das Raucherzimmer. Ich beschließe, durchzuhalten und lüfte statt dessen fleißig. Dann kann ich mich wenigstens mit dem Erschlagen von Mücken und den entsprechenden Flecken auf der Tapete bedanken.
Die Dusche versöhnt mich wieder mit der Welt, das obligatorische Schnitzel im Hotelrestaurant ist eigentlich ganz gut und auch die Dame von der Rezeption hat sich ne Schürze umgebunden und ist plötzlich auch total freundlich. An allen Tischen Dänen. Nur hinter mir deutsche Rentner, von denen einer ständig den Rotz in der Nase hochzieht. Als ich ein Taschentuch für meine eigene Nase bestelle und eine ganze Box Kleenex gebracht bekomme, spiele ich kurz mit für den Rentner peinlichen Gedanken...
Der erste Abend des ersten Tages ist viel positiver, als ich befürchtet habe. Alles fühlt nur nach einem Abend nach einer langen Wanderung an. Und nichts anderes ist es auch. Die Tatsache, daß es noch 1.000 km weiter mit Kurs nach Süden geht, schießt mir heute nur zweimal durch den Kopf. Ansonsten bin ich damit beschäftigt, dem Frühling zuzuschauen.