Donnerstag, 29. April 2010

Über jedes Bacherl geht a Brückerl...

29.04.2010 - Tag 7
Lenzerwische - Arendsee
7 h / 30 km

Alle Helden brauchen mal Pause. Auch die Helden der Landstraße. ICH habe den gestrigen Tag ausschließlich mit Schlafen, Abhängen, Füße schonen, Badewanne und ähnlichen Dingen verbracht. Und es hat sich gelohnt: Ich kann wieder gehen. Locker, ohne zu humpeln. Fühlt sich gut an.

Heute früh beim Aufbruch werde ich belohnt für die schweren Stunden vor der Ankunft an der Elbe (vergleiche mein Genöle am 27.04.). Wunderschönes Wetter, die Elbe führt Hochwasser und in den Elbauen vor dem Deich brodelt das Leben. Alles ist ein einziger Schwarm Insekten, Schwalben führen ihre Raubzüge durch die Luft, hinten auf den Wiesen überall Störche und Kraniche, Enten über Enten, in den Altarmen der Elbe Fische und Otter. Das Leben tobt. Ich eiere auf dem Deich entlang nach Wootz, wo ich den Fischer treffen soll. Dort angekommen, sieht die Elbe erschreckend breit aus. Nix Bacherl@Brückerl.

Kein Fischer da, den hört man ein paar Minuten später aus dem Gorlebener Hafen dröhnen. Der Kollege fährt elegant auf den Elbestrand, die Radfahrer auf dem Deich staunen und ab geht´s rüber in den Westen. Niedersachsen ruft. Der Sportboothafen von Gorleben besteht aus 2 Stegen. Mit 3 Booten... Ansonsten ist Gorleben schnell durchschritten, es ist ein kleines Dorf am Rande von Nirgendwo. Irgendwie hatte ich ja was Anderes erwartet, irgendwelche Hinweise auf das Endlager. Protestplakate, was weiß ich. Aber: nüscht. Der Edeka-Markt auf der Dorfstraße preist sich selbst als zu vermietenden Gewerberaum. Ob das noch was wird? Am Straßenrand trottet ein freundlicher schwarzer Hund ohne Herrchen entlang, Oma fährt mit dem Fahrrad zum Bäcker und braucht kein Fahrradschloß dazu. Gorleben ist erstmal ein Dorf, das Endlager ist vermutlich irgendwo hinten im Wald. 

Sobald das letzte Haus von Gorleben hinter mir liegt, schließt ein staubig-heißer Kiefernwald alle Horizonte. Das sah auf der Karte schon beeindruckend aus, aber in Wirklichkeit ist es ein Gefühl von unendlicher Realitätsferne. Ich war schon in vielen Wäldern, aber in diesem Wald kommt auf den nächsten 20km nichts. Außer einer Straße, die meinen Weg quert und einem Forsthaus auf einer Waldlichtung. Ansonsten nur Wald, kein Zivilisationsmüll, keine Baumarktartikel. Heißer Kiefernwald, der in der Mittagssonne nach heißem Sand riecht. Ich schwitze wie ein Schwamm und habe alle meine Getränke viel zu schnell hinuntergespült. Mit dem Wald kommen die Mücken, Horden davon. Langsame, brave, gutmütige Mücken, die sich leicht erlegen lassen.

Beim Laufen über die sandigen Pisten kommt mir wieder der Gedanke des Transitlandes: Leeres Land, das dich immer nur achtlos weiterreicht. Und weiter. Und weiter, bis irgendwann etwas ganz Anderes kommt. Und dann ist man mit einem großen Seufzer endlich da. So, wie die letzten Kilometer vor dem Meer eigentlich niemanden interessieren und man nur noch darauf giert, endlich Wasser zu sehen. So, wie die Landschaft leer und eintönig ist, bis man oben auf dem Elbdeich steht und auf den majestätischen Fluß blickt und plötzlich ist alles anders. So ist es auch umgekehrt mit diesem Wald. Im Kalten Krieg eingefangen in einem toten Winkel zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt, mit dem Rücken zur Wand. Wo hätte man ein Atommüll-Endlager sonst hinstellen sollen...

Es wird drückend heiß, ich verfluche mich dafür, diese Wanderung vom Frühling in den Sommer romantisiert zu haben. Warum nicht im November? Für einen Moment wünscht sich ein kleiner Teil von mir eine Oma mit Eistruhe, dort gleich neben dem Forsthaus, das brav in der Sonne liegt. Statt dessen biegt der Weg gnadenlos auf die nächste Sandpiste ein, und so wird es auch für die nächsten 3 Stunden bleiben. Aber: ich bin im Westen. Die Förster fahren nicht mehr UAZ-Jeeps wie in den letzten Tagen, sondern LandRover. Als ich mich eine Stunde später zur Pause auf einem Stapel Baumstämme zwinge, kann ich es kaum glauben. In diesem verdammt riesigen Wald, mit hunderten von Baumstammstapeln -- auf welchen setze ich mich? Auf DEN, der direkt neben dem Weg liegt, auf dem 3 Minuten später ein Traktor mit noch mehr Baumstämmen im Schlepptau entlang kommt und mir zu verstehen gibt, daß er die Stämme gerne auf meinem Pausenstapel ablegen würde. Sprachlos ziehe ich weiter...

Kurz bevor der Wald ein Ende hat, die nächste Grenze. Mitten im Wald eine Schneise im losen Sand, auf meiner Seite hohe, alte Bäume. Vor mir 25m mit jungem Kroppzeug, dahinter der Kolonnenweg der Grenztruppen und dann wieder derselbe alte Wald. Mit ein paar schnellen Schritten bin ich drüben. Niedersachsen liegt hinter mir, ich bin wieder im Osten. 3 Bundesländer an einem Tag: Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt. DDR, BRD, DDR. 
Als ich kurz darauf den Wald verlasse und wieder auf dem Feld stehe, das nächste Dorf schon in Sichtweite, verstehe ich: Der Wald südlich von Gorleben ist immer noch der vergessene Teil von Niedersachsen, eingekesselt zwischen Elbe und der alten Grenze zwischen den zwei Staaten. Erst dahinter beginnt wieder das normale Landleben. Mit Bauernhöfen, Traktoren, geschlossenen Dorfgaststätten und stolzen Dorffeuerwehren.

Kurrz vor Arendsee bin ich bereit, für eine Flasche Wasser zu töten. Meinen letzten Schluck habe ich vor 3h getrunken. Wenn hier verdammt nochmal jemand auf der Straße zu sehen wäre, würde ich fragen, aber das Dorf duckt sich wie immer weg, als ich hindurchziehe. Am Ortsausgang dann ein wunderschönes Geschenk. Ein Hotel. Gott sei Dank nicht meins. Ich bin versucht, hier mein Glück um ein Getränk zu erleichtern, stelle aber erleichtert fest, daß die Bude zu ist. Wohl bekomm´s.
Zwei Kilometer weiter in Arendsee wird alles gut. Zu meiner Rechten der herrlich in der Sonne blinkende See, zu meiner Linken ein schlimmer Campingplatz mit Gästen aus der nahen Umgebung. Ein Schild macht mich darauf aufmerksam, daß ein Bungalow direkt an der Straße zu vermieten ist, mit toller Terrasse, die direkt an einem meterhohen Metallzaun mit anschließender gut befahrenen Straße liegt. Der Bungalow direkt daneben ist übrigens auch frei. Recht so.
Ich entere das Eiscafe "San Marco" und weiß im selben Moment, daß sich dahinter nichts Gutes verbergen kann. Der Laden sieht geschlossen aus, aber in den Tiefen der Spelunke werkelt eine gescheiterte Frau. Weise lasse ich die auf diversen Tafeln angebotenen Fischbrötchen links liegen und bestelle eine Spezi, die schneller getrunken ist, als sie bis auf meinen Tisch brauchte. Der nachfolgende Erdbeerbecher belohnt mich für den heißen Tag. Wie asselig die Terrasse ist, auf der ich sitze, bemerke ich erst danach. Aber es ist egal. Ich bin glücklich. Ich stelle brav den Baumarkt-Plastikstuhl wieder an den Tisch und vollende damit das Bild eines geschlossenen Eiscafes.

6 Kommentare:

  1. ;-) Hattest nen guten Tag! Gut so! Küsschen

    AntwortenLöschen
  2. Hallo Kilian ! Na also, geht doch. Deine Füße werden es irgendwann leid sein sich zu beschweren, ohne das jemand drauf hört.

    Um deinen Schritt noch etwas zu beflügeln: Heute stand in der "Heilbronner Stimme" ein Artikel über das Wendland. Ein erster Wolf hat sich dort angesiedelt (hatte von der Lausitz rübergemacht). Du wolltest gerade Pause machen ? Vielleicht überlegst du dir das nochmal ... ;-))

    Wir bewundern deine Ausdauer und wünschen Dir viele unvergessliche Eindrücke von Deutschland, wie es nur wenige kennen. Mögest du dein ersehntes Novemberwetter fast überall bekommen, nur um Heilbronn herum wird das nicht klappen.

    Christoph *) und Doris

    *) Schutzpatron der Wanderer und Reisenden :-)

    AntwortenLöschen
  3. Hi Kilian,

    schlägst Dich doch tapfer...Ich als Kartenfan wollte eben beim Lesen des öfteren wissen, wo genau... Willst Du nicht ne ( z.B.Google-earth-) Karte mit einem "Pfad" deiner Tagestouren mit ranhängen ?

    Gruss und frohes Wandern weiterhin,

    Birger

    AntwortenLöschen
  4. Lieber K-Punkt.
    Was für ein schöner Text! Er katapultierte mich direkt in meine Kindheit, als es jeden Sommer mit der evangelischen Jugendfreizeit tief in diesen Kiefernwald ging. Postadresse: Zeltplatz ,Mitten im Wald', Groß-Wittfeizen. Hitze, Staub, Wald - ich konnte es riechen. Danke. Und weiter so.
    LG I-Punkt

    AntwortenLöschen
  5. Hey Kilian,

    bin sehr neidisch auf Deine Unternehmung und ärgere mich über Büroluft und verbalen Dünnpfiff ('lean management, change management', 'Innovation', 'human ressources'). Deine Texte und die Bilder, die sie hervorrufen, Deine Fotos und meine Erinnerungen an meiner Tour vor einer gefühlten Ewigkeit wecken Sehnsucht. Immer weiter so, aber mehr Pausen! Jos

    AntwortenLöschen
  6. Liebster Kilian,

    einfach wunderbar, Dein blog!! Otti hatte ja erzählt von der Quer-Deutschland-Tour und nun bin ich quasi mit dabei - I do love it.

    Dicker Kuss, Sybille

    AntwortenLöschen