Weilerstoffel (Waldstetten) - Geislingen
6 h - 24 km
So nervenaufreibend das Regenwetter von gestern auch war, heute herrscht Prachtwetter. Beim Frühstück witzeln meine Tischnachbarn: "Huch, da ist ja ne Wolke am Himmel!"...
Mit dem schönen Wetter hat sich eine Landschaft talaufwärts enthüllt, in der sich immer höhere bewaldete Hügel auftürmen. Beim Aufstieg zur Reiterleskapelle fühle ich mich teilweise schon ans Alpenvorland erinnert. Als Bonus gibt es noch Wacholderheiden, Schafherden, dengelnde Kirchen. Idyllenregion Schwäbische Alb. Wo die Landschaft noch im Schatten liegt, weil die Vormittagssonne sie noch nicht erreicht hat, ist immer noch Wasser im Überfluß. Jede Wiese drückt Wasser auf den Weg, jede Böschung ist eine Quelle.
Nach zwei Stunden Weg merke ich, daß ich mir gar nicht mehr sicher bin, ob ich die 1.000 km-Marke heute oder morgen erreichen werde. Wieder muß ich das seltsame Bild eines Wanderers mit Laptop abgeben, aber zum Glück sieht`s niemand. Also doch: Heute. Nur noch 6 km, ach du Schande...
In Winzingen feixe ich einem verpatzten Stunt eines Motorradfahrers hinterher, der sich beim Versuch, nach einem coolen Stop am Geldautomaten (nicht absteigen, Motor laufen lassen) noch cooler quer durchs Blumenbeet losfahren will. Macht er auch, strauchelt aber gehörig. Recht so. In Donzdorf erspähe ich eine Kneipe mit einem schlimmen Namen, die ich sofort meiner kleinen Sammlung hinzufüge. (Zur Erklärung: Ich sammle doofe, gut gemeinte Namen von schlimmen Kneipen, wie z.B. das "Funkloch" oder das "Pub-a-la-pub") Heute kam die "Pilsbar Werkstatt" dazu. "Scha-hatz, ich muß nochmal rüber in die Werkstatt..." Uff.
Hinter Donzdorf wird es ernst. Ungefähr bei der Burgruine Scharfenberg müßte es soweit sein, aber irgendwie ist es nur eine seltsam virtuelle Marke, die ich dort erreiche. Ich stehe auf dem Turm der Ruine und gucke ins Land, mache das 1.000 km-Foto und zucke mit den Schultern. Das hab ich mir irgendwie anders vorgestellt, aber es fühlt sich so überhaupt nicht nach dem Erreichen von irgendetwas an, sondern eher nach: "Ok. Und jetzt?" Das Fenster des Burgturms geht bezeichnenderweise nach Norden, ich schaue in die Richtung, aus der ich in den letzten Tagen hierher gewandert bin. Ich denke kurz an all die Wochen, all die Orte, all die Kilometer. All die Autobahnen, all die Flüsse -- es ist ein einziger Strom, der immer nur auf das "weiter" angelegt war. Insofern schockt mich an dieser Stelle das Ausbleiben eines Gefühl des Erreichens überhaupt nicht, denn auch heute geht es weiter.
Hinter Kuchalb kommen dank Freitagnachmittag plötzlich tonnenweise Wanderer und Mountainbiker ins Bild. Ich hätte neben Hausnummern auch Berliner Stadtteile sammeln können, der Weg geht über den Tegelberg. Außerdem hatte ich schon den Kreuzberg und noch irgendwas...
Ein schmaler Pfad am Talhang entlang, unten hört man schon Geislingen röhren. Bahnlinie, Bundesstraße, die Geräusche der Stadt fallen mir nach den letzten ruhigen Tagen extrem auf. Vom Kuhfelsen herunter offenbart sich eine wunderschöner Aussicht auf die Häßlichkeit von Geislingen. Unter mir die Kläranlage, Industriegebiete, die Häuser alles andere als malerisch. Naja, die Altstadt versteckt sich da hinten links irgendwo im Tal. Während ich mich innerlich schon wieder vor dieser Stadt ekele und dieser Ekel durch Zumutungen wie den Bahnhof Geislingen-West und die angrenzenden Straßenzüge bestätigt wird, versöhnt mich unversehens ein roter Stuhl mit Knicks vor dem Berufsbildungswerk. Ich rechne es ihm und Geislingen hoch an. Daß das Hotel weit weniger schlimm ist, als ich befürchtet habe, ebenfalls.