Bad Brückenau/Staatsbad - Hammelburg
8 h - 34 km
Schon 100 Meter hinter dem Kurpark ist das Idyllen-Aquarium zu Ende. Hinter der Straße kommen: schlimme 70er-Jahre-Bauten, Wald, zugewachsene Eisenbahnschienen. Alles in allem: Wege, die wahrscheinlich nur 0,5% der Kurgäste je gegangen sind. Umso lieber verlasse ich die berechenbare Kurwelt, auch wenn ich sie sehr genossen habe.
Beim Aufstieg auf den Dreistelzberg (mit Aussichtsturm) geht es mir wie am Vortag: Schwitzen wie ein Schwamm. Ich nehme mir fest vor, nicht auf den Berg zu steigen, weil sich ja meine bisherigen Aussichtsmissionen eher weniger gelohnt haben. Außerdem muß ich sowieso hinter dem Berg wieder runter. Als ich vom Aufstieg keuchend an der ersten Kreuzung stehe, will ich rechts abbiegen und den Berg umgehen, aber irgend etwas treibt mich doch weiter geradeaus hoch. An der nächsten Kreuzung genauso: Ich stehe auf dem Weg und will eigentlich gar nicht nach oben, stapfe dann aber doch wie von einem Magnet gezogen weiter bergauf. Irgendwann bin ich oben, nochmal knapp 20m hoch auf den Aussichtsturm und alle Träume meines geschundenen Körpers werden wahr. Der Wind kühlt und kühlt und kühlt. Es ist einfach herrlich. Die Sicht reicht weit ins Land hinein, fast rundum. Rapsfelder, Wälder, Hügel, Dörfer - alles liegt ausgebreitet vor mir. Der Turm schwankt und ich merke mal wieder, daß ich nicht mehr schwindelfrei bin. Ich muß mich immer mit mindestens einer Hand am Geländer festhalten und trotzdem bleibt ein mulmiges Gefühl. Ein, zwei Fotos schaffe ich ohne Festhalten, mehr nicht.
In der Mittagsglut durch Modlos. Punkt zwölf sitzen alle brav am Mittagstisch, man kann es im ganzen Dorf riechen. Kein Mensch auf der Straße, nicht mal eine Katze. Vor der Kirche finde ich den Heiligen St. Kilian und füge ihn meiner Sammlung hinzu. Die Häuser wohlgeordnet, jedes mit mindestens zwei Autos vor der Garage, die Gärten gepflegt. Manchmal macht mir dieser Überfluß an fertigem Idyll Angst. Es ist dasselbe beklemmende Gefühl, was mir München immer verursacht. Alles gemacht, alles in Ordnung, was soll uns schon groß passieren.
In Schwärzelbach trifft mich der Schlag: Ich bin schon 5 h unterwegs und der Radfahrer-Wegweiser vor der Kirche zeigt noch 12 km bis Hammelburg an. Ohnmächtig setze ich mich hin und trinke mein letztes Wasser. Aus irgendeinem Grund hatte ich den Tag so auf 25 km gepeilt, aber es werden wohl doch wieder weit über 30 km werden.
Die Wege werden immer obskurer, man erkennt den guten Willen der Wegewarte, eine möglichst interessante Tour zu ermöglichen, aber das hier ist dann doch zuviel des Guten. Hier war mal ne Schneise, jetzt ist sie zugewachsen. Der Weg ist tapfer mittendurch markiert und ich kann den guten Willen nicht würdigen. Für einen Wanderer mit kurzen Hosen ist ein Brennnessel-Wald kein Vergnügen. Spätestens jetzt, in der siebten Stunde, bin ich in einer unguten Trance. Ich peile nicht mehr, wie lange es noch dauern wird, sondern mache Tempo, um irgendwann anzukommen. Mir folgen ca. 30 Fliegen, die mich in meinem Windschatten und immer wieder von meinem Schweiß kosten wollen. Es sind diese kleinen, schnellen Fliegen; ähnlich denen, die manchmal im Sommer in der Zimmermitte unter der Lampe im Kreis fliegen und sich nicht erlegen lassen, weil sie zu schnell sind. So sind auch diese Biester: flink. Alles schlagen hilft nicht, 10 Sekunden später ist die nächste vor meiner Nase. Sie werden mich bis nach Hammelburg begleiten. Zusammen mit den sich bedrohlich zusammenziehenden Wolken, die der Wetterbericht angedroht hatte. Wolken aus Norden (also von hinten), mit Schauern und Gewittern. Genau so sehen sie auch aus.
Irgendwann - mein Hirn ist schon Matsch - stehe ich am Ortseingang von Hammelburg, schon seit 2 h kaue ich in meinem staubtrockenen Mund Luft. Ich krame voller Vorfreude schonmal Kleingeld aus dem Rucksack in die Hosentasche, voller Vorfreude auf eine Tankstelle, die die Klimaanlage viel zu tief eingestellt hat, bei der man also schon beim Betreten fröstelt. Und diese Tankstelle hat natürlich eine wunderbar große Kühltheke, in der seit Wochen niemand eine Flasche Cola gekauft hat. Deswegen ist die Flasche, die ich mir dann aus dem Regal nehme, wunderbar kalt. Fast sogar am Gefrierpunkt. Aber statt der Erfüllung dieses feuchtem Traums serviert mir Hammelburg geschlossene Lidl-Märkte, Kreisverkehre, Fiat-Autohäuser. Ich folge dem kleinen Schild mit der Aufschrift "Fußweg zur Innenstadt" und stehe kurz darauf auf dem Marktplatz. Natürlich nicht lange, denn so ein Marktplatz hat natürlich ein Eiscafé und ich brauche keine Karte, um zu wissen, was ich möchte. Ich zittere, als ich mein Spezi trinke. Ich zerfließe vor Glück mit meinem Erdbeerbecher.
Das Hotel "Deutsches Haus" ist trotz des fad gewählten Namens toll. Zudem ein Hotel garni, was ich besonders mag. Man kann ungeniert an der Rezeption fragen, welches Restaurant zu empfehlen ist. Heute wieder italienisch, Der Laden liegt etwas außerhalb und ist bumsvoll, was ich als gutes Zeichen werte. Ich sitze auf der Terrasse und beobachte - wie schon vorhin auf dem Marktplatz - daß in Hammelburg viel junges Volk unterwegs ist. die ganzen Wochen vom Osten bis durch die Rhön habe ich mich immer gefragt, wo die Generation 15 bis 35 wohl sein mag. Hier in Hammelburg kommt sie hervor, hervorgehoben auch durch schlimme Autos mit entsprechender Fahrweise und Bassfahne. Auf dem Heimweg zum Hotel stelle ich fest, daß die tiefstehende Sonne nur noch einzelne Wolken bescheint, die sich hinter den nächsten Hügeln versteckt haben. Alles friedlich, die Luft ist lau. An solchen Abenden ist es hart, morgen weiter zu müssen.
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