Samstag, 29. Mai 2010

29.05.2010 - Tag 37
Edelfingen (Bad Mergentheim) - Garnburg (Künzelsau)
8,5 h - 34 km

Heute morgen geht alles schief. Gestern abend schon wollte mir keines der Hotels und Gasthöfe, die ich rausgesucht habe, ein Zimmer für die nächste Nacht vermieten. Wochenende, alles voll. Auch die Ausweichvarianten, die ich gestern Nacht daraufhin noch rausgesucht hatte, sagen am Vormittag nacheinander ab. Bisher hatte das immer wunderbar geklappt: Abends im Hotel was für den nächsten Tag raussuchen, anrufen, fertig. Nun laufe ich zum ersten Mal mit dem Fragezeichen los, wo ich heute Abend landen werde. Nun gut...

Bad Mergentheim besticht erstmal durch häßliche Plattenbauten, dann ein nicht enden wollendes Industriegebiet, dahinter diverse ASB-Wohnheime, dann eine kleine Altstadt und voila: Ortsausgang, in Beton gegossen. Wo hat dieser Ort ein "Bad" verdient? Wahrscheinlich gestohlen...

Es geht wieder auf einem Höhenweg über die Täler. Endlich wieder im Angebot: Leere. Zum ersten Mal seit Tagen frage ich mich, was da eigentlich gerade passiert. Seit Tagen gehe ich nicht durch die Landschaft, sie geht vielmehr mich. Jeder Ort, den ich durchquere, ich nur ein kurze Pause im Takt, den meine Stiefel in den Boden hacken. Ich merke, wie leicht und wie von selbst alles läuft. Auf die Karte gucken, Entfernung peilen, loslaufen. 30 km - na, dann mal los. Blasen, Muskelkater - Fehlanzeige. Was für ein Unterschied zu den ersten Wochen sich eingeschlichen hat. Ich laufe 8 Stunden und denke nichts. All das "Ach, dann hast du ja mal richtig Zeit zum Nachdenken", was ich mir und andere mir für diesen Urlaub unterstellt haben, findet nicht im Ansatz statt. Ich gehe morgens los, dann ist Vakuum, bis sich das Bedürfnis nach Trinken oder Essen oder Pause meldet. Dann Trinken oder Essen oder Pause und weiter. Bis zum Abend. Duschen, Klamotten lüften, Essen gehen, nächsten Tag planen, Blog schreiben. Und schon ist Nacht und der Tag rum und ich habe das Gefühl der Vollbeschäftigung. An vielen Abenden mache ich noch nicht mal den Fernseher im Zimmer an, weil ich gefühlt überhaupt keine Zeit dafür habe.

Ich erspare mir die Frage, ob ich entspannungstechnisch auf Null bin. Es wäre keine Antwort von Dauer.

Dörzbach macht mir Angst. Auf der Dorfstraße nebenstehendes Schild. Es ist Samstag, schlimme Bilder von Massenwanderungen des Deutschen Wanderverbands mit Sägemehlmarkierungen auf den Wegen schießen durch meinen Kopf. Ich werfe die Idee, eventuell hier schon nach einem Nachquartier zu suchen, über Bord, ändere sofort meine Route und wähle den steilsten Anstieg aus dem Jagsttal hinaus. Flucht nach vorn. 

Oben auf dem Berg geht meine Szenarien B und C von heute früh auf. Wenn nicht Dörzbach, dann eines der nächsten Dörfer, zur Not Künzelsau. Irgendwas wird schon gehen. Ich setze mich nochmal wie ein iPad-Horst auf ne Bank am Weg, zücke den Rechner und werde kurz vor Künzelsau fündig. Wenigstens habe ich nun wieder ein Ziel für den Tag. Seltsam, aber genau das scheint das Wichtigste auf dieser Reise zu sein: Zu wissen, wo man heute abend hinwill. Ich versuche mir vorzustellen, ich würde auf dieser Wanderung von Tag zu Tag durch die Dörfer tingeln, um schon ab 15:00 Uhr voller Hoffnung nach einem Schlafplatz zu suchen. Furchtbar. Ich will ein Ziel, in all diesen Hunderten Kilometern brauche ich jeden Abend ein Ziel, um nicht von der schieren Länge der Strecke aufgefressen zu werden. Inzwischen habe ich gut 850 Kilometer hinter mir und ich habe es nicht gemerkt. Es fühlt sich nur an wie ein schöner Wandertag nach dem nächsten, aber nicht wie eine durchgehende Strecke. Aber ich merke, daß das Ziel mich magnetisiert. Nachdem ich wochenlang keinen Gedanken an das Ankommen verschwendet habe, merke ich nun, nachdem ich einen Großteil der Strecke geschafft habe, daß ich endlich ankommen will. Gefährlich.

In Meßbach hat der Bauer meine grüngelben Felder mit weißen Plastikkugeln garniert. In Wendischenhof weiß ein Ehepaar ganz genau, auf welchen Weg ein Wanderer gehört und auf welchen nicht. In Stachenhausen gerate ich ins Feuerwehrfest. Im Kirchberger Wald verfehlt mich beim Überqueren der Straße nur knapp ein Motorrad mit 200. In Belsenberg beobachte ich Enten und Kaninchen, die sich einen Außenstall teilen und Angst voreinander haben und hänge dankbar Kopf und Arme in den kalten Dorfbrunnen. In Garnberg begegne ich wieder den üblichen abendlichen Hundebesitzern im Umkreis von 2 km um die nächste Siedlung. Ich bin wieder viel weiter gelaufen, als ich eigentlich vorhatte.

1 Kommentar:

  1. Bitte sehr, wenn Du von Bad Mergentheim nach Künzelsau gehst, dann hast Du ja die Chance, in Stuppach eines der bedeutendsten Gemälde der Geschichte zu sehen: Die Stuppacher Madonna, von Matthias Grünewald. Da hättest Du in einer halben Stunde Deinen Kopf für zwei Wochen füllen können. Ich sage doch, mehr Pausen. Aber aus meiner eigenen Wanderung weiss ich auch: die Leere ist nur scheinbar da, in Wahrheit kannst Du viel besser unterscheiden was wichtig ist und was nicht. Immer weiter, Jos

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