Sonntag, 2. Mai 2010

Auf Murks folgt Sonnenschein!

02.05.2010 - Tag 10
Kalbe (Milde) - Mieste
6,5 h / 27 km

So murksig, wie der Tag gestern endete, so nett begann er heute. Ich habe den Kalbensern vergeben, denn sie waren es gar nicht, die gestern abend das Hotel beim schlimmen Abendbuffet bevölkert haben. Das waren alles - gulp - Hotelgäste...

Erstmal 2h bis Wiepke zum Warmwerden. Die Sonne scheint sanft, einige Spaziergänger drehen ihre Sonntagsrunden. An der Weggabelung stehen zwei alte Herren mit ihren Fahrrädern und tratschen. Auf der Weide dahinter haben sie Kühe verteilt. So soll ein Sonntag vormittag aussehen. Wiepke ist wieder eines der schöneren Dörfer, erschreckend still zwar wieder, aber mit wunderbaren alten Häusern. Von jeder Ecke leuchtet unaufdringlich ein Schild mit "Pension" und "Zimmer" auf mich herab und hält meine Vorsicht von gestern zum Narren. Nachher ist man immer klüger.

Ich höre sofort auf, mich zu ärgern, als hinter Wiepke endlich die lang ersehnten Hügel auftauchen. Berge! Bergketten! Gebirge! Über 120m hoch! Ich fühle mich schon fast wie im Harz und lobpreise die Errungenschaften der hügeligen Landschaft: Malerisch am Waldrand mit Blick auf das Dorf wartet eine Bank auf mich und meine Rast. 

Im Wald verlaufe ich mich erst einmal saftig. Nach 20min habe ich keine Ahnung mehr, wo ich mich eigentlich wirklich befinde und beschließe, einfach dem erstbesten Weg in die richtige Richtung zu folgen. Irgendwann bin ich wieder auf Kurs, OHNE irgendeinen Förster mit Tränen in den Augen nach dem Weg zu fragen.

Stundenlang durch stillen Wald, Verbotsschilder des Bundesvermögensamtes Magdeburg links und rechts. Wahrscheinlich bin ich seit Wochen der einzige Mensch hier. Manche Wege sind nicht viel mehr als Schneisen im Wald, die aber zuverlässig hinführen, wo sie sollen. Am Nachmittag finde ich einen Gedenkstein, "13.04.1945". Einer von vielen, die an diesem Tag noch folgen werden. Die SS hat hier noch drei Wochen vor Kriegsende gewütet. Mehrere hundert KZ-Häftlinge wurden vom Mittelbau Dora im Harz auf Todesmärsche geschickt. Viele sind in diesem großen stillen Waldstück erschossen worden. Den Rest des Weges sehe ich den Wald um mich herum mit anderen Augen. Vielleicht auch er mich.

Als ich kurz vor Mieste am Waldrand auf das Feld trete, rasen 50m weiter auf der Bundesstraße Menschen in ihren Autos vorbei. Wie fremd diese Geschwindigkeit mir vorkommt. Ich beobachte einen Golf, der zum Überholen ansetzt, erinnere mich sehr gut an die Abläufe dieses Vorgangs und doch fühle es sich irgendwie absurd an. Die Strecke, für die ich den ganzen Tag brauche, schafft dieses Auto in weniger als einer halben Stunde.

In Mieste dann eine Belohnung nach der anderen. Ich entere die örtliche Eisdiele in der Hoffnung auf ne schnelle Waffel und stehe erstmal gefühlte Stunden an. Vor mir das unkoordinierte Elternpaar, die feststellen, daß sie all das Eis, das sie bestellt haben, gar nicht alleine tragen können. "Annika", das Kind - wuselt hinten auf dem Parkplatz rum und will nicht kommen. Vati wird böse. Annika kommt trotzdem nicht. Und so kommt es, daß Vati das Eis für Annika - in Sichtweite des Kindes - in den Mülleimer wirft. So bitter es ist, irgendwie doch schon wieder cool. Die Frau vor mir bestellt noch ein "Zofteis", dann bin ich endlich dran und das Glück stömt in meinen Körper.

Auch das "Haus Altmark" ist besser als gedacht. Ich habe das Schlimmste befürchtet, aber ein gut gefüllter Dorfgasthof mit Familienfeier am Nachmittag ist nie ein schlechtes Zeichen. Mein Zimmer ist gleich links, durch den Gang mit den Toiletten. Erste Tür rechts: Damen. Zweite Tür rechts: Herren. Tür geradeaus: Privat. Mein Zimmer. Ich will schon protestieren, aber es gibt noch eine Zwischentür, das Zimmer ist unerwartet nett und das Badezimmer noch besser. Ich bin zufrieden. Zum Abendessen wieder rüber in den Gastraum, es ist Sonntag abend 19:00 Uhr und es ist voll. Das ganze Dorf ist da und sitzt und lacht und ißt und trinkt und raucht. Ich wirke ein wenig fremd, aber ein riesiger Teller mit Fleisch und Salz rettet meinen Abend. Ein Hoch auf das Balkan-Restaurant am Ende der Welt.

1 Kommentar:

  1. Mir gefallen deine endlosen Bilderserien von endlosen Wegen immer besser. Wird's die mal als Bildband geben ? Titelvorschlag: "Der Weg ist das Ziel." :-) LG Christoph

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