Dienstag, 4. Mai 2010

Angriff auf die Börde und all meine Vorurteile!

04.05.2010 - Tag 12
Flechtingen - Ummendorf
6,5 h / 26 km

Ich werde krank. Nicht tagsüber, aber abends und morgens fühle ich mich krank. Erst ganz zärtliche Halsschmerzen, dann leichtes Kratzen im Hals, dann laufende Nase, jetzt Husten. Wenigstens kommt bald der Harz mit Badewanne...

Heute morgen beim Frühstück verquatsche ich mich mit der Pensionswirtin. Der andere Gast der letzten Nacht, ein älterer Herr in seinen Siebzigern, sitzt immer noch im Frühstücksraum im Keller. Ich habe den Verdacht, daß die Wirtin ihm von meinem Vorhaben erzählt hat, denn er hört sehr aufmerksam zu und guckt so neugierig, wie jemand nur gucken kann, der einen Freak aus der Nähe sehen darf.

Der Start wieder im Regen. Im Wald bekomme ich einen heftigen Grün-Flash. Die frischen Blätter des Frühlings bewegen sich irgendwo zwischen neongrün und dunkelgelb, der Regen bringt alles noch zusätzlich zum Leuchten. Ich stolpere zur Abwechslung über Wege, die zwar existieren, aber nicht in der Karte eingezeichnet sind, quer über den Flechtinger Höhenzug. Der Spaß endet in einem Waldstück, neben dem der Bauer wieder gepflügt hat. Mein eingebildeter Alternativweg verläuft sich neben einem Hochsitz. Ich schrecke mal wieder einige Rehe auf und murkse durch das Unterholz eines triefend gesättigten Laubwaldes. Irgendwann findet sich wieder ein Weg, die Richtung könnte stimmen. Eine Stunde später trete ich aus dem Waldrand auf das Feld hinaus und merke, daß ich gut gepeilt habe. Schräg gegenüber liegt das Forsthaus, zu dem ich wollte.

Weiter geht es quer über das nächste Feld (ich mache das NICHT gerne!), danach sind meine Stiefel 3cm höher vom lehmigen Matsch, links und rechts wachsen Knollen aus den Sohlen. Als ich über die Straße laufe, hinterlasse ich putzige Lehmstapfen auf dem nassen Asphalt. Auch die nächsten zwei Stunden vergehen mit Gemurkse an den Rändern von Wald und Feld, auf Wegen, die gar nicht mehr da sind. Als ich gegen 15:30 Uhr zum letzten Mal für diesen Tag den Wald verlasse, liegt über den ganzen Horizont vor mir ausgebreitet die Börde. Und direkt vor mir die ersten Windräder.

Auf dem Weg hinunter ins Dorf komme ich an einem Windrad vorbei, davor zwei Transporter der Wartungsfirma. In Zeitlupe dreht sich das riesige Rad, während drinnen die Techniker emsig irgendwelche Arbeiten vollführen. Nicht einmal einen Kilometer weiter steht eine alte Bockwindmühle von 1783. Mit einer weißblauen Denkmal-Plakette drauf, die allerdings auch nichts mehr hilft. Nur das hölzerne Mühlenhaus steht noch komplett, die Flügel sind zerschmettert und hängen - in ihren eigenen Drähten verheddert - im Wind. Ein bitteres Bild...

Als ich die A2 überquere, bin ich abermals enttäuscht. Schon bei der A24 habe ich nichts wiedererkannt, heute geht es mir nicht anders. Eine Unterführung beraubt mich das Blickes auf die Autobahn, und als ich auf der anderen Seite wieder auftauche und den nächsten Hügel besteige, sehe ich nur eine Autobahn zwischen Rapsfeldern, aber den Hügel auf dem ich stehe, habe ich noch nie gesehen. So soll das erste Wiedererkennen von Landschaft wohl bis zum Harz auf sich warten lassen.

In Wefensleben kommt die Sonne raus. Ich entschließe mich zu einem boshaften Spiel: Hausnummernbingo. Es gibt eine Art von kombinierter Hausnummer mit Beleuchtung und Solarzelle, die mir in den letzten zwei Wochen schon mehrfach über den Weg gelaufen ist. Baumarkt-Individualität. Ich befürchte, daß sie mich auch den restlichen Weg durch Deutschland begleiten wird.

Ummendorf ist totenstill, weil die Hauptstraße gesperrt ist. Einige Anwohner fahren vorsichtig durch die Baustelle, ansonsten ist das Dorf gespenstisch erstarrt. Ein kleiner Hund merkt erst, als ich schon fast an seinem Zaun vorbei bin, daß ich mich bewege und fängt ganz erschrocken an, umso heftiger zu kläffen. Vor der Pension treffe ich die beiden Transporter der Windrad-Monteure wieder...

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