Donnerstag, 20. Mai 2010

Was naß beginnt, endet naß...

19.05.2010 - Tag 27
Schmalkalden - Meiningen
6,5 h - 26 km

Eigentlich bin ich selber schuld. Morgens beim Telefonat mit der Heimat hatte ich noch großspurig behauptet, daß es hier nur in der letzten Nacht geregnet hätte. Der Schritt von der Hoteltür raus auf die Straße war wie ein Schritt in die Duschkabine...

Den ganzen Tag durch kalte Wolken, gut eingespielten Regen, unangenehmen Wind. Nach den ersten 90 Minuten bergauf bin ich komplett durchweicht, die Nässe von innen trifft die Nässe von außen und spätestens dann ist GoreTex sowieso für die Tonne. Ich rette mich überflüssigerweise in die erstbeste Schutzhütte und futtere schon vor Mittag Schokoriegel, um die Laune aufzuhellen. Die Wände sind natürlich voll mit schmutzigen Fortpflanzungsphantasien nicht ausgelasteter Jugendlicher (wer will es der Jugend von Schmalkalden auch verdenken...), ich kann mich nur schwer beherrschen, die hier schriftlich angepriesenen Frivolitäten mit den Worten "Nein danke, mir wäre es lieber, wenn der Regen endlich aufhören würde." zu kontern. Stift habe ich ja dabei. Aber ich befürchte, daß das nicht ankommt und lasse der Jugend die Freude und die Illusion. Ausharren ist nutzlos, das Wetter wird davon nicht besser.

Eigentlich ist es eine tolle Wanderung, vorbei an allen Dörfern, den ganzen Tag nur Wald und Feld. Stille Wege abseits der Forstautobahnen, vorbildlich ausgeschildert, garniert mit Geschichte und Kühen. Und kein Mensch unterwegs -- ich sehe heute nur einmal einen anderen Menschen (ein Bauer im Dorf...). Ich kann es aber nicht genießen. Daß die Füße naß sind, ist klar. Die Beine sind bis zu den Knien hoch voller Matsch. Meine Klamotten sind naß, die Hose fühlt sich an wie eine feuchte Windel. Ich höre mindestens schon eine Blasenentzündung trapsen. Mindestens! Der Regen hört nicht auf, nienienie, wenn er mal etwas nachläßt, dann nur, um das gesparte Wasser gleich darauf mit Vollgas nachzuliefern. Auch das Wasserbauen macht im Regen nur halb soviel Spaß.

Hinter Metzels verirre ich mich auf dem Feld. Auf dem Feld! Ich bin zu stolz/faul, den Rucksack abzusetzen, um den Kompaß auszupacken. Unsicher, welches nun der richtige Berg ist, auf den ich rauf will, matsche ich mich durch Kuhweiden und Wallhecken, krauche steile Abhänge hinauf mit dem Ergebnis, daß ich mich auf dem nassen Matsch erstmal vorwärts längs lege. Ich hatte schon mehr Spaß... Gott sei Dank kann man sich problemlos im nassen Gras die Hände waschen.

Kurz vor Meiningen belohnt mich der Tag mit einer herrlichen Aussicht in die Rhön (siehe links). Der Thüringer Wald liegt hinter mir, vor mir: Meiningen. Von hier oben häßlich wie die Nacht. Tolle Altstadt, tolle Parks, tolles Schloß, wie ich am Abend noch bemerke, aber die Kombination aus den Extremen Plattenbau und Laubenkolonien schmecken mir nicht. Und ich sehe die häßlichste Reihe von Neubauten, die ich auf dieser Reise bisher ansehen durfte...

Aber Meiningen hält noch andere Freuden für mich parat: Das flott über HRS gebuchte Hotel entpuppt sich als das zweite Hotel auf dieser Tour, das von klugen Architekten über ein Einkaufszentrum gesetzt wurde. Im selben Gebäude ist auch gleich noch die örtliche ARGE untergebracht, im Durchgang stehen auch gleich ein paar Arbeitslose ("Kunden" für Fratschi) und stellen sich vor dem Regen unter, was ich allerdings aufgrund fehlender Rechteeinräumungen erst am nächsten Morgen fotografiere. Ich muß sofort wieder an den schlimmen Laden in Kalbe denken, während ich an der Rezeption stehe, auf meinen Zimmerschlüssel warte und zusehe, wie um mich herum ziemlich schnell eine große Pfütze auf dem Fußboden entsteht. Kurz überlege ich ernsthaft, ob ich mir nicht was Anderes suchen will, aber die Aussicht auf eine sofortige heiße Dusche ist eine starke Droge. Das Zimmer hält auch, was meine schlimmen Gedanken mir schon vorauseilend versprochen haben. Zu allem Überfluß fiept der Fernseher. Also gehe ich heute Abend aus, Italiener und Kino.

Dachte ich beim Einchecken im Hotel noch, daß die Frau an der Rezeption eine zum Arbeiten nach Thüringen importiere Fränkin ist, werde ich abends durch weiteren Kontakt mit der lokalen Bevölkerung (vor allem im Kino, WÄHREND des Filmes) eines Besseren belehrt. Hier spricht man tatsächlich eine Art Fränkisch statt des dumpfen thüringer Singsangs der letzten Tage. Ich bin platt und fühle mich der anderen Heimat ein Stück näher...

 

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