Samstag, 22. Mai 2010

Kaiserwetter!

22.05.2010 - Tag 30
Fladungen - Gersfeld
6 h - 29 km

Das Beste an Hotels sind blickdichte Vorhänge. Die Spannung, wenn man die Vorhänge aufzieht und das Wetter des neuen Tages beäugt. Heute früh ist alles paletti. Der Blick auf Fladungen verspricht einen sonnige Tag. Aber ich wäre nicht der Quengelkönig, wenn ich nicht sofort die daraus folgenden Nachteile im Kopf wälzen würde. Och, wieder den ganzen Tag schwitzen. Och, wieder Sonnenbrand. Och, wieder soviel los in Wald und Flur. Och, wieder soviel zu Trinken mitschleppen. Aber im Grunde meines Herzens freue sogar ich Kaltwettertier mich über den sommerlichen Morgen.

Der Tag wird bestimmt durch folgende Gleichung:

Kaiserwetter + Pfingstwochenende = x

Klar, die Lösung ist: Touristen! Den ganzen Tag treffe ich Wanderer über Wanderer, von vorne, von hinten, von der Seite. Beim Laufen, beim Pause machen, beim dumm gucken. Einzeln und in Massen. Ich hätte es mir gestern Abend eigentlich schon denken können, als ich versucht habe, am Telefon meine Unterkünfte für die nächsten Abende zu buchen. Alles voll, selbst die popeligsten Dorfgasthöfe. Also Planung umgeschmissen, weise auf die Besteigung der Wasserkuppe verzichtet (ich kann mir ungefähr vorstellen, wie sich die Menschenmassen da heute totgetreten haben) und einen anderen Zielort ausgesucht. Heute bis Gersfeld, sieht auf der Karte weit aus. Zudem geht´s noch quer durch die Lange Rhön, also 600m Aufstieg und dahinter 500m wieder runter. Ich stelle mich geistig schon auf einen 8h-Tag ein...

Alles läuft wie geschmiert, der Ruhetag gestern hat mir sehr gut getan. Die Beine laufen wie ein Uhrwerk, selbst der steile Anstieg durch das Eisgrabental wird weggesteckt wie ein kleiner Hügel. Oben haben die Wanderer nett am Wasserfall gruppiert und machen Pause. Wie bei den Fliegen: Am liebsten Schwaden bilden an besonders attraktiven Plätzen. Ich steige die grasbewachsenen Hänge der Langen Rhön hinauf, von oben kann man zig Kilometer weit ins Land sehen. Tonnenweise Motorradfahrer brummen gemütlich durch das schöne Wetter und bummeln mit gemächlichem Tempo die Hochrhönstraße entlang, was wiederum die Rennradfahrer mit ihren libellenartig vorbeisausenden Rennmaschinen dazu ermuntert, sich auf den Abfahrten in den Windschatten der Biker zu hängen und einfach mal dranzubleiben. Man kann ihnen den Stolz schon auf hunderte Meter ansehen...


Als ich mich zur Mittagspause bette, ahne ich, daß ich genau auf dieser Wiese vor ein paar Jahren schon einmal war, bei meinem einzigen Besuch in der Rhön bisher. Auch der weitere Verlauf der Tour kommt mit sehr bekannt vor. Es ist sicherlich 5 oder 6 oder vielleicht noch mehr Jahre her, als ich hier war, aber irgendwie prägen sich Landschaften immer sehr gut in mein Hirn ein, manchmal viel besser als Namen oder Gesichter. Auch der Heidelstein, den ich anstatt der Wasserkuppe erklimme (ist ja auch nur 25m niedriger), kommt mir bekannt vor. Hier treffe ich dankenswerterweise keine Sau und kann ein herrliches Panorama genießen.

Gegen 15:00 Uhr mache ich mich auf den Abstieg nach Gersfeld und bin leicht irritiert, wie schnell dieser Tag vorbei ging. Gersfeld serviert mir nicht nur einen Einzelwanderer, mit dem ich nicht Schritt halten kann (was immer noch an mir nagt!), sondern auch sofort ein wunderschönes Eiscafé mit vorzüglichen Eissorten (u.a. Zimt mit Pflaumen). Als Bonus gibt es noch eine schattige Bank gegenüber vom Marktplatz, wo ich Einheimische und Touristen beobachten kann. Mein Glück ist perfekt.


Ansonsten ist heute der Tag der coolen Kinder. Cooles Kind 1 erheitert mich im schönen Dorf Hausen, als es auf seinem Tretroller hinter mir her kachelt und mich fragt, was ich denn da mache. Ich antworte erstmal boshaft "Fahrrad fahren", was der Zwerg natürlich heftig anzweifelt. Schonmal die erste Prüfung bestanden, mein Bester. Ich zeige mich gnädig und erkläre ihm, daß ich wandere. Das glaubt er mir nun aber auch nicht und ich bin platt. Seine Begründung: "Aber da sind ja gar keine anderen dabei!" Anscheinend geht alleine wandern nicht. Ich erkläre ihm, daß ich gaaaanz weit wandere, von der Ostsee bis zu den Alpen und das wäre so weit, daß keiner von meinen Freunden mitwandern wolle. Also bin ich alleine unterwegs. Das leuchtet ihm wiederum ein und ich bin entlassen.

Cooles Kind 2 treffe ich auf dem Gersfelder Marktplatz. Während links vor der Bäckerei alle alten Menschen sitzen, sitzen rechts vor dem Eisladen alle jungen Menschen. Das coole Kind 2 turnt seit mehreren Minuten unter einem Werbeschild zwischen den beiden Läden herum, während die Eltern - natürlich - vor dem Eiscafé sitzen. Und mit den laut herausgekrähten Worten "Was kommt denn DA hervor? Die liebe Sonne!" taucht das coole Kind in das Licht blinzelnd wieder unter dem Werbeschild hervor und steht Beifall heischend auf dem Marktplatz. Ich bin kurz versucht, zu klatschen, der Vater sieht aber nicht aus wie ein Spaßversteher. Überhaupt ignorieren die jungen Eltern den coolen Auftritt ihres coolen Kindes. Schade eigentlich.

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