Meiningen - Fladungen
29 km - 7 h
Och Menno... Schon beim Frühstück muß ich dem Damenkränzchen am Nebentisch zuhören und erfahre haarklein ihre Erlebnisse der Nachkriegszeit und ihre gegenseitige Meinung dazu. Wenigstens regnet es nicht mehr draußen. So hält mich nichts im Hotel und in Meiningen.
Auch das bißchen Steigung zum Frühstück nehme ich als kleinen Abschiedsgruß von Meiningen hin, doch danach wird es unheimlich. Oben auf dem Feld kommt erst ein kleines Dorf, dann links ein Gewerbegebiet und hinter dem Dorf geht das Gewerbegebiet nochmal flotte 3 Kilometer weiter. Ich habe mich ja schon oft mit Rucksack und Wanderstiefeln fehl am Platz gefühlt, aber ein Wanderer im Gewerbegebiet ist noch mehr fehl am Platz als ein Alien bei Karstadt. Nach dem Gewerbegebiet kommt noch ein Steinbruch. Danach noch ein Trupp der Kampfmittelräumung. Danach bin ich irgendwann dann doch mal im Wald. Aber der Tag bleibt obskur. Ich sehe in aller Seelenruhe einer ollen Nacktschnecke zu, die geradewegs in eine Pfütze und eigentlich in ihren sicheren Tod kriecht. Als sie nach 10 min unter Wasser immer noch fidel ist, gehe ich weiter. Obskure Wege, manchmal habe ich das Gefühl, daß hier seit Monaten niemand mehr gegangen ist.
Am Waldrand sieht plötzlich alles aus wie in Franken. Ein kleines Dorf liegt vor mir, ein paar Fachwerkhäuser, ein paar Hügel, ein paar Bäume, Wald, und eine Pferdefamilie. Ein bißchen wie die Gegend hinter Hersbruck, wo ich als Kind immer zum Wandern gewungen wurde... Passend dazu vollziehe ich ein besonderes Ritual, auf das ich mich schon lange gefreut habe: Ich stecke die letzte Wanderkarte des Landesvermessungsamtes Thüringen weg und hole die Rhön-Karte vom Fritsch-Verlag hervor. Besonders deshalb, weil es Karten dieses Verlages waren, mit denen ich vor vielen Jahren Kartenlesen gelernt habe.
Gegen Nachmittag stehe ich zum letzten Mal auf dieser Reise an der ehemaligen Zonengrenze. Ich wandere einige Kilometer den Kolonnenweg aus Betonplatten entlang -- man kann die Grenze immer noch spüren. Die Landschaft nach Osten hin ist auf mehrere Kilometer entvölkert, immer wieder stoße ich auf Erinnungen an verschwundene Dörfer und Siedlungen. Der Kolonnenweg, damals das letzte Stück Osten vor dem Westen, bildet noch immer eine Zäsur in der Landschaft. Seit mehr als 2 Kilometern biegt kein Weg in den Westen ab, eine Baumreihe begleitet den Kolonnenweg, dahinter ein Wassergraben. Dahinter ist nur Wald zu ahnen. An einem Wegknick schlage ich mich durchs Unterholz rüber in den Westen. Nach ungefähr 200 Metern stoße ich auf den Überrest eines Weges, anscheinend damals das westdeutsche Pendant zum ostdeutschen Kolonnenweg. Bei dem Versuch, mich weiter zum nächsten Weg durchzuschlagen, verirre ich mich heftig. Eine Zeitlang folge ich einem schwachen Pfad und einer Art Markierung aus Plastikbändern an Zweigen, aber am Ende stehe ich immer noch mitten im Wald, obwohl ich eigentlich schon längst auf den Weg stehen müßte. Seltsamerweise fühlt es sich immer noch irgendwie verboten an, in diesem Waldstück unterwegs zu sein. Irgendwann verläßt mich mein Mut, mich weiter querfeldein zu schlagen und ich peile mich zurück auf`s Feld, auf den Kolonnenweg, von dem ich vorhin abgebogen bin. Als ich nur 150m weiter östlich wieder darauf stoße, bemerke ich, daß ich die ganze Zeit schwer den falschen Kurs gewählt hatte.
Hinter dem ersten Dorf in Bayern streichelt mich die Rhön mit schönen Aussichten. "Land der offenen Fernen" haben es die Touristikmarketingmenschen genannt. Furchtbarer Titel, schön ist es aber trotzdem. Schließlich ist es Franken... Im Hotel buche ich spontan und geistesgegenwärtig eine zweite Nacht und bin sofort froh über diese Entscheidung für einen Ruhetag. Schlafen, rumhängen, lesen. Und aus dem Fenster gucken, was man in diesem Hotel über Fladungen ganz vorzüglich machen kann. Nachdem es eine halbe Stunde vor meiner Ankunft aus Gewohnheit wieder zu regnen begann, schaue ich nun - frischgeduscht und im Bademantel - den Wolken zu. Herrlich, soviel Zeit zu haben.
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