Bleicherode - Reifenstein
7,5 h - 30 km
Bleicherode ist immer noch sauer auf mich. Beim Frühstück muß ich meine Tischnachbarin auffordern, sich die Frühstückszigarette bitte draußen anzuzünden. Immer noch kein Handyempfang. In den Apotheken gibts keine guten Blasenpflaster. Die Wege aus dem Ort raus sind so seltsam markiert, daß ich mich sofort während der ersten halben Stunde der Tour verlaufe und querfeldein den Hang hochhechele, um dieses furchtbare Kaff endlich hinter mich zu kriegen.
Hinter Sollstedt der nächste keuchende Anstieg, der mich noch mehr als der vorige belohnt. Ich stehe an der Steilhangkante des Dün, ein sichelförmiger Höhenzug ohne Straßen und Dörfer, der sich von in Richtung Südwest erstreckt. Überall Buchen, Buchen, Buchen. Stundenlang führt mich ein schmaler Pfad hart an der Abbruchkante entlang, links von mir nur Wald, rechts der Abgrund. Ein Traum in Grün. Ab und zu lichtet sich der Wald rechts und man sieht weit nach Norden, bis hin zum Harz. Es ist einer der landschaftlich schönsten Wege, die ich in meinem Leben bisher gelaufen bin. Irgendwann lasse ich auch das Dröhnen der Autobahn hinter mir und glühe vor Glück. Keine Schmerzen in den Füßen, leichtes Gehen, keine Blasen. Kühles, trockenes Wetter. Nasser Waldboden.
Bald stolpere ich über das erste Bärlauffeld und stehe wie ein Städter davor: Isses nun Bärlauch oder täusche ich mich? Ich pflücke ein Blatt und reiße es in der Mitte durch - sofort habe ich den würzigen Duft in der Nase. Begeistert fotografiere ich diese erste Bärlauchwiese ausgiebíg (zuhause in Bayern findet man den ab und zu mal im Wald, aber nicht in der Menge). Während ich weitergehe, wird es immer mehr, der ganze Waldboden ist voll mit Bärlauch, soweit das Auge reicht. Die erste Wiese war kläglich gegen diese sich buchstäblich über Kilometer ausdehnenden Bärlauchwiesen. Der komplette Boden ist voll davon, nur ein schmaler Pfad ist ausgetreten.
Nach knapp vier Stunden stehe ich plötzlich auf einer Baustelle. Thüringen ist ungnädig und hat mitten in das herrliche Panorama ein riesiges Zementwerk-UFO landen lassen. Es streckt wie eine Krake seine Finger in verschiedene Richtungen: Gleisanlagen, Zufahrtsstraßen, Türme. Ein Förderbandsystem reicht herauf bis zur Kante des Dün, dahinter ein riesiges Loch mit ausgeweideter Erde. Alles leer, einen knappen Kilometer weiter schüttet ein einsamer Radlader unter Getöse Steine auf das Förderband. Ich brauche einige Kilometer, um die Nachwirkungen dieser Mondlandschaft hinter mir zu lassen.
Der Höhenweg endet auf einem Bergsporn, vor vielen Jahrhunderten stand hier mal eine Burg, übrig sind nur noch die Reste der Wallanlagen. Von hier aus führt ein sehr steiler Weg direkt den Hang hinab nach Reifenstein, er ist wunderbar markiert -- allerdings frage ich mich, wie man hier ernsthaft runterkommen soll. Nach ein paar Schritten Abstieg kapituliere ich und krabbele auf allen Vieren wieder zum nächsten sicheren Stand hoch. Hier komme ich nie runterm, zumindest nicht im Ganzen. Aber - gemein! - das Ziel liegt so wunderbar ausgebreitet nur einen Steinwurf entfernt zu meinen Füßen. Ich breche mir einen dicken Wanderstock aus dem Geäst und traue mich schrittweise abwärts. Sehr sportliche Wegmarkierung...
In Reifenstein schmunzele ich schon von Weitem über das Hotel, das mich heute Abend erwartet. Über die verzweifelte Ernsthaftigkeit eines Hotels, das am Ende der Welt liegt und genau weiß, daß es nur eine Chance zum Überleben hat, wenn es sich auf die Hinterbeine stellt. Im See im Park (sprich: Teich mit Wiese außenrum) tost eine 8m hohe Wasserfontäne (außer Betrieb), die genau den Mittelpunkt Deutschlands markiert. Klar... Das Hotel ist eine Terrorsymphonie in Gold/Marmor (Eingangshalle), Grün/Türkis (Restaurant) und imitiertem Holzimitat (Zimmer). Voller Mitleid bemerke ich, daß das es vergebens versucht, seinen Ursprung in DDR-Architektur und -Ausstattung zu kaschieren.
Zum Abendessen wieder Soljanka, schließlich verlasse ich das Soljanka-Land. Wieder gibt es süße statt saurer Sahne obendrauf. Wenigstens mit Zitrone, wenigstens keine Sprühsahne (wie leider so oft). Ich kann nicht schon wieder Schnitzel essen und durchsuche die Karte nach Alternativen. Verwegen unterstelle ich, daß der beim Salatteller "Griechischer Art" angepriesene Schafskäse (den ich nicht mag, weil zu würzig) in Wirklichkeit gar kein Schafskäse sein wird, sondern billiger (aber wunderbar leckerer, weíl milder) Kuh-Feta. Ich behalte Recht und mampfe glücklich Zwiebeln, Oliven, Feta und Salz.
Huch,stand hier gestern abend nicht ein anderer Artikel?
AntwortenLöschenHerr Grauel, ich bin so stolz auf Sie!
Ich muss schon den ganzen morgen an Dich denken, während ich mit einer tasse Kaffee nach der anderen aud dem Sofa rumhänge, mit einer Decke über den Beinen und in den verregneten Himmel schaue.
Du bist so groß und ich so klein..
Halte durch!!