Dienstag, 11. Mai 2010

Glücklich, wer eine Wandernadel hat...

11.05.2010 - Tag 19
Blankenburg - Sorge
8 h - 30 km

Es fällt mir nicht ganz leicht, als ich am Vormittag das Hotel in Blankenburg verlasse und zur Harzdurchquerung ansetze. Die letzten drei Tage waren wirkliche Entspannung, wie ein Wochenende abgammeln, nur ohne schlechtes Gewissen. Abwechselnd in der Badewanne und im Bett liegen, ausgiebig frühstücken und Zeitung lesen, Mittagsschlaf machen, Nachmittags vielleicht auch nochmal ein Nickerchen, mal ganz frech bis 23:30 Uhr (uiuiui!) fernsehen. Herrlich.

Auf die norwegische Art geht´s durch Blankenburg hoch zum Schloß. Dahinter eröffnet sich ein unüberschaubares Wirrwarr an Wegen, deren Beschilderung mal wieder überhaupt nicht mit der Karte überein stimmen wollen. Ich halte mich wie immer an die vernünftige Mischung aus beidem und schraube mich durch schweren Eichenwald weiter, den Hang entlang, den Harzrand hinauf. Überall tropft es, die Wolken hängen tief, Nebel zieht durch díe Baumkronen. Alles ist gesättigt von Feuchtigkeit. Mit meinem Hemd sieht es nicht viel anders aus... Irgendwann stehe ich oben und bin platt, wieviel Kraft 400 Höhenmeter Aufstieg doch kosten können. Und die Karte verspricht mir schon, daß ich nur 3 km weiter in Neuwerk ca. 150 Höhenmeter absteigen darf, um sie sofort auf der anderen Talseite wieder hochzukeuchen. Aber egal: Es ist herrlich, endlich wieder über Hügel, durch Wälder, durch den Harz zu wandern.

Nach dem Aufstieg nach Neuwerk habe ich es geschafft - es geht relativ eben auf einem Höhenweg parallel zum Stausee. Ich rufe mutig das Hotel für heute Abend an und buche mein Zimmer, auch wenn ich mir nicht völlig sicher bin, ob ich es bis dahín schaffe. Bisher bin ich heute sehr schleppend vorangekommen. Meine Streckenrechnung vom Typ "geradeaus, übers Feld" der letzten Wochen stimmt hier im Harz natürlich nicht mehr. Es geht über Forstwege durch vollen Fichtenwald mit senkrechten, uniformen Bäumen. Auf einem dieser Wege kommt mir ein eigensinniger Wanderer entgegen. In der Stadt wäre er sofort als Penner durchgegangen, ein alter Mann mit Bart, einen Bollerwagen hinter sich herziehend, sein kleiner Hund mal neben ihm, mal im Bollerwagen. Hier im Wald, 6 km vom nächsten Dorf entfernt, ist er ein Wanderer, der eigentlich nicht viel wunderlicher ist als ich. Ich grüße freundlich und fühle mich dem Mann viel verbundener, als es zuhause in Berlin je möglich gewesen wäre.

Ich mache gut Strecke auf diesen Wegen, es bleibt den ganzen Tag kalt und feucht. Als ich nach 6h eine Pause einlege und die Kiesgrube aus meinen Schuhen entleere, befühle ich meine Füße. Die rechte Ferse, heute früh mit einem Blasenpflaster versorgt, muckt überhaupt nicht. Die linke Ferse, vernachlässigt, drückt ganz deutlich. Obwohl ich eine ähnlich saftige Blase wie gestern abend befürchte, verzichte ich darauf, die Füße hier mitten im Wald zu versorgen. Da hält sowieso kein Pflaster...

Auf dem Abstieg nach Tanne treffe ich tatsächlich auf einen Weg, den ich schonmal gegangen bin. Den ganzen Tag habe ich mich gewundert, daß ich - obwohl ich im Harz schon so viele Tage kreuz und quer gewandert bin - nur ein paar Stellen vom Auto aus kannte. Ironischerweise ist díe Stelle am Kapitelberg über Tanne eine Stelle, an der ich mich damals verlaufen hatte... Ich gönne mir nur ganz kurz die Aussicht auf das Bodetal, ich will lieber endlich ankommen. Der Abstieg nach Tanne gibt nochmal richtig Pfeffer in die Knie: Ich bin eindeutig zuviel im Flachland gelaufen in den letzten Wochen. Auf der Zielgerade kurz vor Tanne werde ich für die Mühen des Tages mit einem kitschigen Romantikweg (siehe rechts) belohnt. Zwei Minuten später die Rache des Universums: Ich stolpere mit dem linken Fuß über einen Stein und stoße mir hart die Blasen an der Ferse. Herr Grauel geht zu Boden und bleibt erstmal sitzen. Wir wären nicht im Harz, wenn nicht 100m weiter die nächste Bank stehen würde. Stiefel aus, Socke runter. Luft dranlassen. Interessant, was sich da schon wieder alles gebildet hat. Fuß massieren, um die Laune zu heben. Mit Blasenpflaster dopen. Hilft nur begrenzt, die letzten 2km nach Sorge ziehen sich humpelnd schier ewig in die Länge. Irgendwann wird es besser, allerdings fühlt sich mein Unterschenkel durch die Schonhaltung für den Rest des Weges an wie kurz vor einem Krampf.

Das Hotel habe ich richtig gegriffen, schönes großes Zimmer. Endlich wieder Soljanka und Schnitzel, leider nur mittelprächtig. Aber endlich wieder unterwegs.

1 Kommentar:

  1. Ih, beim Lesen zieht es so richtig durch meinen Bauch, die 'saftige' Blase usw....

    Sabilon

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