Montag, 10. Mai 2010

Back on track...

10.05.2010 - Tag 18
Schwanebeck - Blankenburg
8h - 31 km

Nach 4 Tagen rumsitzen und gesundwerden halte ich es nicht mehr aus... Es muß weitergehen. Der Husten ist zwar noch nicht weg, aber ich habe schwere Hummeln im Hintern. Morgens besteige ich den Zug nach Halberstadt und zuckele durch das diesige Harzvorland. Die Wolken hängen tief, alles sieht fast skandinavisch naß aus. Vom Bahnhof sind es nur ein paar Schritte bis zur Bundesstraße, zum ersten Mal auf dieser Tour halte ich den Daumen raus (der nächste Bus fährt erst in einer knappen Stunde...) und bin erstaunliche 30min später in Schwanebeck. Offensichtlich haben die Einheimischen ein Herz für die Opfer der ätzenden ÖPNV-Verbindungen.

In Schwanebeck klatsche ich am Bushäuschen ab und mache mich auf den Weg zurück nach Blankenburg. Auf den ewigen Börde-Geraden verfluche ich mich angesichts dieser dämliche Idee, weiß aber im Grunde meines Herzens, daß es richtig ist, diese Etappe noch nachzuholen. Diese ausgelassenen 30km hätten bis zum Ende der Tour an mir genagt. Dann verfluche ich eben die Börde mit ihren ewigen Geraden und den Feldern, die ich nicht mehr sehen kann.

Nach Halberstadt werde ich belohnt. Wald. Berge. Diesige Hügelketten, die sich bis zum Horizont staffeln und immer weiter verschwimmen. Alles sieht anders aus. Endlich! Der Weg säumt sich am Waldrand entlang, es ist nass und kalt, aber ich bin glücklich. Rechts hinten irgendwo dröhnt die B81, auf der ich so oft von Halberstadt nach Blankenburg gefahren bin. Gleich daneben die Bahnstrecke, auf der ich in den letzten Tagen schon x-mal hin- und her-gegondelt bin. Hinter Langenstein gerate ich wieder in den Strudel der Geschichte. Meine Route war vor 70 Jahren die Route von KZ-Häftlingen von ihrem Arbeitsstollen zum Lager. Wieder erwischt mich die Geschichte an einem Ort, an dem ich sie nie vermutet hätte. Der kleine Bergrücken, den ich eigentlich nur schnell überqueren wollte, entpuppt sich schließlich als Gedenkstätte auf dem Gelände des KZ-Außenlagers Langenstein-Zwieberge. Es ist die unheimlichste Gedenkstätte, die ich je besucht habe.

Ich erinnere mich gut an die Exkursionen in der Schule ins KZ Dachau. An meine Besichtigung des KZ Sachsenhausen vor ein paar Jahren. Diese Gedenkstätte ist anders. Still im Wald, verschluckt vom Wald. Kein Mensch hier. Ich stehe auf einer riesigen ungemähten Wiese im Wald, dem ehemaligen Appellplatz. Es läuft mir zum ersten Mal eiskalt den Rücken hinunter - am Ende der Lichtung steht noch eine Baracke, die Fenster blicken hohl herüber. Beim Rundgang über das Gelände versuche ich noch, mich mit dem Gedanken, daß sich Bäume und der Wald das KZ-Areal zurückerobern, zu trösten. Die Bodenplatten der Wirtschaftsgebäude sind von den Wurzeln der umstehenden Bäume aufgeworfen. Bei den Krankenbaracken flieht ein Reh in den Wald. Aber immer länger stehe ich vor den wenigen Tafeln mit Geschichten von Zeitzeugen. Stehe mitten im Wald vor den Fundamenten der Lagerbaracken. Oben am Waldrand die Todeskiefer, an der die SS Häftlinge erhängt hat. Ein glatter, toter Rest eines Baumes, wachsartig, gestützt von einem Metallgerüst. Ein unheimlicher Ort. Ich lese die Erzählungen der Häftlinge zu diesem Baum: Ein russischer Häftling hatte sich geweigert, den Sockel unter zwei zur Hinrichtung vorbereiteten Jungen wegzustoßen und antwortete dem SS-Mann, daß er es selber tun solle. Nachdem die beiden tot waren, wurde der Russe gefoltert und anschließend neben der Todeskiefer noch halblebendig unter Beton begraben. Ich halte es nicht mehr aus, fliehe bergab in Richtung Waldlichtung. Der Weg ist teilweise noch von alten Betonpfosten und Stacheldraht gesäumt. Als ich weiter unten auf die Lichtung einbiege, atme ich auf. Endlich wieder freie Sicht, überschaubares Gelände. Rationales Denken. "Ach, da haben sie dann doch einen Jägerstand aufgestellt, gibt ja doch viele Rehe hier...", denke ich und möchte im nächsten Moment implodieren. Ich stehe neben einem der alten Wachtürme und das furchtbare Gefühl ist wieder da.


 


Dieses KZ hinterläßt schwere Wunden in mir. Die Leere, das Grauen, die Abwesenheít von anderen Menschen, die Unorganisiertheit des Gedenkens und der Gedenkstätte, das Verwobensein mit dem Wald, der scheinbare Friede der Waldlichtung, all dies wiegt zigmal schwerer als alle anderen Gedenkstätten, die ich bisher besucht habe. Umso seltsamer ist es, in diesem Blog darüber scheinbar zu plaudern.

1 Kommentar:

  1. Hey, endlich ... !

    Super, dass es dir wieder (etwas) besser geht, aber übertreib' es nicht.

    Hoffentlich sind die weiteren Etappen etwas weniger belastet als diese hier. Kann mir gut vorstellen wie das ist, völlig unvorbereitet und ohne die übliche Gedenkstätten-Geschäftigkeit auf "sowas" zu stoßen. [Makaber auch, dass dein Blog-Provider eines der KZ-Bilder als "Spam Site" klassifiziert hat. Ich verkneife mir naheliegende Kommentare dazu.]

    Ich wünsche dir, dass jetzt der Spaß richtig losgeht. LG Christoph

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