Donnerstag, 3. Juni 2010

03.06.2010 - Tag 42
Welzheim - Weilerstoffel (Waldstetten)
6 h - 27 km

Mir steckt immer noch die Nacht in den Knochen. Die Nacht, die keine war... Gegen 23:00 Uhr klingelte mich die Bedienung des Restaurants per Haustelefon aus dem Schlaf, um das Zimmer zu kassieren. Durch die Blume gab sie mir zu verstehen, daß das Restaurant morgen früh erst ab 11:00 Uhr geöffnet sei und deswegen das mit dem Frühstück... Whatever. Gleich nebenan ist eine schicke Bäckerei, dann frühstücke ich eben dort. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, die Luft im Zimmer ist so stickig, daß ich das Fenster ausreißen muß und bis ungefähr 01:00 Uhr dem Küchenpersonal beim Quatschen und Aufräumen zuhören darf. Danach gehen alle lautstark ins Bett und anscheinend bewohnen alle, die hier arbeiten, nicht nur die als privat gekennzeichnete Etage unter mir, sondern auch die nicht belegten Hotelzimmer. Um 03:30 Uhr machen dann die Kinder des Hauses Rabatz im Gang, werden daraufhin von den Eltern zur Ordnung gerufen und --- was soll ich groß rumjammern. Dieses eine Mal wäre ich gerne kriminell gewesen und hätte die Zeche geprellt. Ich hätte es wirklich gerne getan...

Dankenswerterweise regnet es schon morgens seit Stunden. Ich verlasse den schlimmen Laden so schnell wie möglich und verzichte darauf, noch mal "ne halbe Stunde" darauf zu warten, daß der Regen nachläßt. Als ich um 09:45 Uhr auf der Straße stehe, checke ich sofort mal das Sportgeschäft nebenan (vielleicht kann man da ne Regenhülle für den Rucksack kriegen) und wundere mich, weil die Bude eigentlich seit 09:00 Uhr geöffnet sein sollte. Dingdong - Feiertag! Natürlich hat auch der Bäcker geschlossen. Und natürlich kam auf der Ausfallstraße auch keine Tankstelle. Aber Regen. Und überschwemmte Bäche. Und noch mehr Regen. So beginne ich eine nasse Wanderung an einem einsamen Feiertag und ahne schon jetzt, daß es jede Minute dieses Tages regnen wird...

Nach einer guten Stunde bin ich durchgeweicht und befehle mir, daß mir das ab sofort egal sein muß. Irgendwann - wenn man ein gewisses Maß an Nässe erreicht hat - ist es auch tatsächlich egal. Was tatsächlich nervt, ist die ständig beschlagene Brille. Kaltes Wetter, Regen und bergauf ergibt beschlagene Gläser. Ich erinnere mich an die Kontaktlinsen im Rucksack und sofort serviert mir das Schicksal ein goldenes Leckerli: Eine Bank am Waldrand, geschickt unter einen Baum gebaut, dadurch tatsächlich der einzige trockene Fleck in einem Umkreis von mehreren Kilometern. Tapfer operiere ich mir die Augen in den Kopf und verbuche einen Punkt für "Anwendung moderner Technik in Outdoor-Umgebung"...

Der Marsch ist stramm, es hört tatsächlich überhaupt nicht auf zu regnen. Ich bete, daß meine neue Rucksack-Müllsack-Packtechnik sich bewährt und ich heute abend wenigstens ein paar trockene Kleidungsstücke zur Verfügung habe. Selbst die Kühe und Pferde auf den diversen Weiden stehen in der Regel lieber unter den Bäumen als im Regen. Memmen.

Bitter an solchen Tagen ist eigentlich, daß man nichts genießen kann. Die ganzen sechs Stunden Weg ziehe ich die Mütze tief ins Gesicht, Kapuze drüber, und mit Druck weiter. Nur kein Blick zur Seite, keine Pause, keine Mätzchen. Nur schnell Ankommen. Hinter Schwäbisch Gmünd wechsele ich auf den häßlichen Radweg neben der häßlichen Landstraße und mache Tempo das Tal entlang bergauf. Erst am Ziel merke ich plötzlich, wie schön die Landschaft auf den letzten Kilometern eigentlich geworden ist. Weiter vorne geht es bergauf, die Kuppen liegen tief im Nebel begraben. Gras und Wald sind gesättigt, von überall schießt das Wasser hervor, wie aus einem Schwamm, der ausgequetscht wird. Aus jeder Wiese wird ein kleiner Bach. Am Reiterhof guckt aus jedem der fünf Fenster jeweils ein Pferd heraus und sieht zu, wie ich vorbeischnüre. In Waldstetten gibt es ein großes "Zieleinlauf-Eis" in die Waffel. Und so schlimm die gestrige Übernachtungsbasis auch war, so schön ist sie heute. Der Landgasthof liegt malerisch im Tal, mein Balkon guckt in den Nebel hinaus. Ich werfe Rucksack und Klamotten von mir und sortiere erstmal alles. Die neue Packmethode hat sich bewährt! Nach einer heißen Dusche starte ich ein durchchoreographiertes Trocknungsballett, esse ein sehr gutes schwäbisches Abendessen, höre heimlich den drei alten Damen am Nebentisch zu und schwelge im schwäbisches Dialekt "Ja noi, i hätt gern no ein Apfelschorle." Das Internet ist schnell und kostenlos, im Bad gibt es einen Heizkörper, der sich perfekt zum Rucksack aufhängen eignet und ich bin insgesamt sehr glücklich mit diesem Tag.

Bei schönem Wetter kann ja jeder.

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