Geislingen – Lautern (Blaustein)
7h – 29 km
Geislingen macht sich zum Abschied nochmal so richtig häßlich. 60er-Jahre-Bahnarbeiter-Wohnblöcke säumen den Weg. Heute ist Altpapiersammlung, vor einem Hochhaus stehen mehrere hüfthohe Stapel aus Pizzakartons - brav zusammengebündelt - und lassen Rückschlüsse auf die Bewohner zu. Irgendjemand hat auf den Gehsteig gekotzt, anscheinend sind die Einheimischen von dieser Stadt ebenso angeekelt wie ich. Vorbei am unvermeidlichen Industriegebiet, rüber nach Bad Überkingen – dem unwahrscheinlichsten Kurort, den ich je gesehen habe. Laut, häßlich, betoniert. Wahrscheinlich muß man in den Quellen ersaufen, um hier Ruhe zu finden.
Allerdings: in einer Nebenstraße serviert Bad Überkingen Großartiges! Einen Unimog aus den 50er Jahren, in makellosem Zustand, mit passendem Anhänger. Und damit nicht genug: Auf dem Anhänger ein Ziegenbock, der - während ich Fotos mache - sofort von einem zum Plaudern herbeigeeilten Passanten (70+) bemitleidet wird. Ich hingegen finde, daß das Kerlchen ganz fidel aussieht und unterstelle sogar, daß ihm die Ausfahrt Spaß machen könnte.
Nach einer knappen Stunde hartem Aufstieg belohnt mich die Alb mit Sonne, einem obszön strahlenden Himmel und herrlich kühlendem Wind. Perfektes Wetter auch für die Segelflieger, die hier oben ihrem regen Wochenendtreiben nachgehen. Gegen Mittag sitze ich im Schatten unter einer Linde auf dem Feld (unter der wie selbstverständlich eine Bank steht), sehe den startenden und landenden Fliegern zu und bin glücklich.
Die Dörfer hier oben auf der Alb brüten in der Sonne, alles zieht sich hinter Jalousien und Sonnenschirme zurück. Wieder einmal ist kaum ein Mensch auf der Straße zu sehen, trotz Samstag. Der kühlende Wind auf den Feldern reicht nicht bis zwischen die Häuser, erst nach dem letzten Hof atme ich wieder durch. Ich überquere die A8, die letzte der Autobahnen vor dem Bodensee.
Dahinter beginnt der Abstieg ins Tal. Nach fünf Stunden in der Sonne freue ich mich auf den Schatten und die Kühle der Bäume. Die letzten 10 Kilometer geht es durch das Lauterntal, mit jedem Schritt wird es schöner. Im Talgrund ist es angenehm kühl und dunkel, wenn die Sonne es doch mal bis hinunter schafft, wird es schlagartig saunaheiß, wie ein heißer Dampfhammer schlägt die Luftveränderung ins Gesicht. Am „schönen Stein“, wieder unter einer Linde, beginnt das Defilee der Radfahrer. Zu Dutzenden radeln sie in der nächsten Stunde an mir vorbei. Sogar drei Wanderer...
Das Tal wird immer tiefer und steiler, links bilden sich die ersten Felswände und Schutthalden hervor, und plötzlich stehe ich nach einer Kurve vor dem ersten von ca. 10 Häusern von Lautern. In der Kirche wurde gerade geheiratet, die versammelte Gesellschaft steht auf der Wiese und unterscheidet sich positiv von der Hochzeitsgesellschaft, die heute Vormittag in Geislingen an mir vorbeihupte. Mein Landgasthof für heute Abend ist ein Traum, der Bach mitsamt Mühle geht direkt daran vorbei. Ich kann nicht widerstehen, werfe den Rucksack ab, entledige mich der Stiefel und steige mit beiden Füßen in den eiskalten Bach. Ich halte es nur ein paar Sekunden aus, bevor sich wohlige Schmerzen in meinen Unterschenkeln ausbreiten. Ein Willkommensspezi, ein Schlüssel zu einem tollen Zimmer (wie passend: das Herrenzimmer) und der blökende Idyllenschwerpunkt Lämmer am Hang neben dem Biergarten runden mein Glück ab. Ich freue mich auf meine Portion Schlaf im ersten 140cm-Bett der letzten Wochen, höre dem Bach zu und befürchte, daß dies vielleicht der bisher schönste Tag der ganzen Reise war.
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