Freitag, 4. Juni 2010

1.000 km!

04.06.2010 - Tag 43
Weilerstoffel (Waldstetten) - Geislingen
6 h - 24 km

So nervenaufreibend das Regenwetter von gestern auch war, heute herrscht Prachtwetter. Beim Frühstück witzeln meine Tischnachbarn: "Huch, da ist ja ne Wolke am Himmel!"...

Mit dem schönen Wetter hat sich eine Landschaft talaufwärts enthüllt, in der sich immer höhere bewaldete Hügel auftürmen. Beim Aufstieg zur Reiterleskapelle fühle ich mich teilweise schon ans Alpenvorland erinnert. Als Bonus gibt es noch Wacholderheiden, Schafherden, dengelnde Kirchen. Idyllenregion Schwäbische Alb. Wo die Landschaft noch im Schatten liegt, weil die Vormittagssonne sie noch nicht erreicht hat, ist immer noch Wasser im Überfluß. Jede Wiese drückt Wasser auf den Weg, jede Böschung ist eine Quelle.

Nach zwei Stunden Weg merke ich, daß ich mir gar nicht mehr sicher bin, ob ich die 1.000 km-Marke heute oder morgen erreichen werde. Wieder muß ich das seltsame Bild eines Wanderers mit Laptop abgeben, aber zum Glück sieht`s niemand. Also doch: Heute. Nur noch 6 km, ach du Schande...

In Winzingen feixe ich einem verpatzten Stunt eines Motorradfahrers hinterher, der sich beim Versuch, nach einem coolen Stop am Geldautomaten (nicht absteigen, Motor laufen lassen) noch cooler quer durchs Blumenbeet losfahren will. Macht er auch, strauchelt aber gehörig. Recht so. In Donzdorf erspähe ich eine Kneipe mit einem schlimmen Namen, die ich sofort meiner kleinen Sammlung hinzufüge. (Zur Erklärung: Ich sammle doofe, gut gemeinte Namen von schlimmen Kneipen, wie z.B. das "Funkloch" oder das "Pub-a-la-pub") Heute kam die "Pilsbar Werkstatt" dazu. "Scha-hatz, ich muß nochmal rüber in die Werkstatt..." Uff.

Hinter Donzdorf wird es ernst. Ungefähr bei der Burgruine Scharfenberg müßte es soweit sein, aber irgendwie ist es nur eine seltsam virtuelle Marke, die ich dort erreiche. Ich stehe auf dem Turm der Ruine und gucke ins Land, mache das 1.000 km-Foto und zucke mit den Schultern. Das hab ich mir irgendwie anders vorgestellt, aber es fühlt sich so überhaupt nicht nach dem Erreichen von irgendetwas an, sondern eher nach: "Ok. Und jetzt?" Das Fenster des Burgturms geht bezeichnenderweise nach Norden, ich schaue in die Richtung, aus der ich in den letzten Tagen hierher gewandert bin. Ich denke kurz an all die Wochen, all die Orte, all die Kilometer. All die Autobahnen, all die Flüsse -- es ist ein einziger Strom, der immer nur auf das "weiter" angelegt war. Insofern schockt mich an dieser Stelle das Ausbleiben eines Gefühl des Erreichens überhaupt nicht, denn auch heute geht es weiter.

Hinter Kuchalb kommen dank Freitagnachmittag plötzlich tonnenweise Wanderer und Mountainbiker ins Bild. Ich hätte neben Hausnummern auch Berliner Stadtteile sammeln können, der Weg geht über den Tegelberg. Außerdem hatte ich schon den Kreuzberg und noch irgendwas...

Ein schmaler Pfad am Talhang entlang, unten hört man schon Geislingen röhren. Bahnlinie, Bundesstraße, die Geräusche der Stadt fallen mir nach den letzten ruhigen Tagen extrem auf. Vom Kuhfelsen herunter offenbart sich eine wunderschöner Aussicht auf die Häßlichkeit von Geislingen. Unter mir die Kläranlage, Industriegebiete, die Häuser alles andere als malerisch. Naja, die Altstadt versteckt sich da hinten links irgendwo im Tal. Während ich mich innerlich schon wieder vor dieser Stadt ekele und dieser Ekel durch Zumutungen wie den Bahnhof Geislingen-West und die angrenzenden Straßenzüge bestätigt wird, versöhnt mich unversehens ein roter Stuhl mit Knicks vor dem Berufsbildungswerk. Ich rechne es ihm und Geislingen hoch an. Daß das Hotel weit weniger schlimm ist, als ich befürchtet habe, ebenfalls.


Verdammt...

Hätte mich nicht jemand vorwarnen können? Dann hätte ich dieses Stück Weg vermieden...


So soll es sein...

Blick aus dem Fenster gestern abend:



Blick aus dem Fenster heute früh:

Donnerstag, 3. Juni 2010

03.06.2010 - Tag 42
Welzheim - Weilerstoffel (Waldstetten)
6 h - 27 km

Mir steckt immer noch die Nacht in den Knochen. Die Nacht, die keine war... Gegen 23:00 Uhr klingelte mich die Bedienung des Restaurants per Haustelefon aus dem Schlaf, um das Zimmer zu kassieren. Durch die Blume gab sie mir zu verstehen, daß das Restaurant morgen früh erst ab 11:00 Uhr geöffnet sei und deswegen das mit dem Frühstück... Whatever. Gleich nebenan ist eine schicke Bäckerei, dann frühstücke ich eben dort. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, die Luft im Zimmer ist so stickig, daß ich das Fenster ausreißen muß und bis ungefähr 01:00 Uhr dem Küchenpersonal beim Quatschen und Aufräumen zuhören darf. Danach gehen alle lautstark ins Bett und anscheinend bewohnen alle, die hier arbeiten, nicht nur die als privat gekennzeichnete Etage unter mir, sondern auch die nicht belegten Hotelzimmer. Um 03:30 Uhr machen dann die Kinder des Hauses Rabatz im Gang, werden daraufhin von den Eltern zur Ordnung gerufen und --- was soll ich groß rumjammern. Dieses eine Mal wäre ich gerne kriminell gewesen und hätte die Zeche geprellt. Ich hätte es wirklich gerne getan...

Dankenswerterweise regnet es schon morgens seit Stunden. Ich verlasse den schlimmen Laden so schnell wie möglich und verzichte darauf, noch mal "ne halbe Stunde" darauf zu warten, daß der Regen nachläßt. Als ich um 09:45 Uhr auf der Straße stehe, checke ich sofort mal das Sportgeschäft nebenan (vielleicht kann man da ne Regenhülle für den Rucksack kriegen) und wundere mich, weil die Bude eigentlich seit 09:00 Uhr geöffnet sein sollte. Dingdong - Feiertag! Natürlich hat auch der Bäcker geschlossen. Und natürlich kam auf der Ausfallstraße auch keine Tankstelle. Aber Regen. Und überschwemmte Bäche. Und noch mehr Regen. So beginne ich eine nasse Wanderung an einem einsamen Feiertag und ahne schon jetzt, daß es jede Minute dieses Tages regnen wird...

Nach einer guten Stunde bin ich durchgeweicht und befehle mir, daß mir das ab sofort egal sein muß. Irgendwann - wenn man ein gewisses Maß an Nässe erreicht hat - ist es auch tatsächlich egal. Was tatsächlich nervt, ist die ständig beschlagene Brille. Kaltes Wetter, Regen und bergauf ergibt beschlagene Gläser. Ich erinnere mich an die Kontaktlinsen im Rucksack und sofort serviert mir das Schicksal ein goldenes Leckerli: Eine Bank am Waldrand, geschickt unter einen Baum gebaut, dadurch tatsächlich der einzige trockene Fleck in einem Umkreis von mehreren Kilometern. Tapfer operiere ich mir die Augen in den Kopf und verbuche einen Punkt für "Anwendung moderner Technik in Outdoor-Umgebung"...

Der Marsch ist stramm, es hört tatsächlich überhaupt nicht auf zu regnen. Ich bete, daß meine neue Rucksack-Müllsack-Packtechnik sich bewährt und ich heute abend wenigstens ein paar trockene Kleidungsstücke zur Verfügung habe. Selbst die Kühe und Pferde auf den diversen Weiden stehen in der Regel lieber unter den Bäumen als im Regen. Memmen.

Bitter an solchen Tagen ist eigentlich, daß man nichts genießen kann. Die ganzen sechs Stunden Weg ziehe ich die Mütze tief ins Gesicht, Kapuze drüber, und mit Druck weiter. Nur kein Blick zur Seite, keine Pause, keine Mätzchen. Nur schnell Ankommen. Hinter Schwäbisch Gmünd wechsele ich auf den häßlichen Radweg neben der häßlichen Landstraße und mache Tempo das Tal entlang bergauf. Erst am Ziel merke ich plötzlich, wie schön die Landschaft auf den letzten Kilometern eigentlich geworden ist. Weiter vorne geht es bergauf, die Kuppen liegen tief im Nebel begraben. Gras und Wald sind gesättigt, von überall schießt das Wasser hervor, wie aus einem Schwamm, der ausgequetscht wird. Aus jeder Wiese wird ein kleiner Bach. Am Reiterhof guckt aus jedem der fünf Fenster jeweils ein Pferd heraus und sieht zu, wie ich vorbeischnüre. In Waldstetten gibt es ein großes "Zieleinlauf-Eis" in die Waffel. Und so schlimm die gestrige Übernachtungsbasis auch war, so schön ist sie heute. Der Landgasthof liegt malerisch im Tal, mein Balkon guckt in den Nebel hinaus. Ich werfe Rucksack und Klamotten von mir und sortiere erstmal alles. Die neue Packmethode hat sich bewährt! Nach einer heißen Dusche starte ich ein durchchoreographiertes Trocknungsballett, esse ein sehr gutes schwäbisches Abendessen, höre heimlich den drei alten Damen am Nebentisch zu und schwelge im schwäbisches Dialekt "Ja noi, i hätt gern no ein Apfelschorle." Das Internet ist schnell und kostenlos, im Bad gibt es einen Heizkörper, der sich perfekt zum Rucksack aufhängen eignet und ich bin insgesamt sehr glücklich mit diesem Tag.

Bei schönem Wetter kann ja jeder.

Wenn ich irgendwann mal heiraten sollte...

...möchte ich DIESEN Nachnamen annehmen. Und ja - das ist Regen im Vordergrund...


In den Top 10 der häßlichsten Städe meiner Reise: Schwäbisch Gmünd!

Nur mal so als kleines Beispiel... Vielleicht ist Schwäbisch Gmünd im Regen ganz besonders häßlich, aber so viele schlimme Häuser habe ich selten gesehen. Ok, ein paar auftoupierte Stadtvillen gibt`s auch, aber für die großspurig angekündigten Umbaumaßnahmen für die Bundesgartenschau 2014 (neue Erlebnisräume schaffen blablabla) gibt es deutlichen Punktabzug.


Mittwoch, 2. Juni 2010

Limes? Wo?

02.06.2010 - Tag 41
Hohenhardtsweiler - Welzheim
7,5 h - 29 km

Es geht klassisch los, gleich in der ersten halben Stunde verlaufe ich mich. Und verfluche mich, weil ich mal wieder zu stolz bin, einfach umzukehren. Also kraxele ich die nassen Talhänge nach Oberrot hinab und saue mich zum Frühstück gleich mal richtig ein. Die ganze Nacht und den ganzen Morgen hat es geregnet, inzwischen bleibt wenigstens der Himmel trocken - obwohl Gebüsch und Gräser immer noch gerne geben...

Ich schlängele mich in großzügigen S-Linien in Richtung Ziel, man hat ja Zeit. Die fleißigen Wegmarkierer des Schwäbischen Albvereins haben sich mal wieder die letzten Trampelpfade rausgesucht, um dem geneigten Wanderer ein möglichst spannendes Wandererlebnis zu bieten. Ich winke dankend ab und überquere lieber schnell die Wiese an der schmalsten Stelle, um auf der Straße weiter zu laufen. Das funktioniert immer... Mehrmals ziehe ich mit solchen Aktionen das große Los: als ich bei Jaghaus (ja, ohne d) den Weg verfehle und auf der Straße weiterlaufe, stelle ich zwei Kilometer weiter fest, daß der Wanderweg sowieso wegen Forstarbeiten gesperrt ist. Und den wildromantischen Steig bei Hornberg, den ich elegant auf der Kreisstraße abkürze, gibt es anscheinend gar nicht mehr. Seit gestern ist auch dieser Weg gesperrt: Erdrutsch.

Den ganzen Tag durch stille und sehr nasse Waldgebiete und stille und sehr nasse Feldlandschaften. Langweilige Dörfer mit gepflegten Vorgärten und ohne Herausforderungen. Die Bewohner sind selber schuld und deswegen wahrscheinlich auch nicht zuhause.

Ungefähr auf der Hälfte der Tour werfe ich erstmal meine ganze Planung um: Ich habe auf der Karte entdeckt, daß der Limes (Limes, der; röm. Grenzwall) hier ganz in der Nähe verläuft. Als geschichtsinteressiertes Kerlchen wittere ich spannende Informationsschautafeln und eile schnellstens mit wehendem Haupthaar einige Kilometer nach Westen. Ok, Grundmauernreste eines römischen Wachturms. Ok, Grabenreste. Ok, ein Schuttwall eines römischen Kleinkastells. Aber nach zwei - zugegebenermaßen wirklich guten - Schautafeln ist Schluß und der eigens markierte Limesweg hat es sich zur Aufgabe gemacht, mich bis Welzheim auf möglichst obskuren Wegen durch den Wald zu lotsen.

Eine Stunde vor Ende des Tages geht der Regen los, Zieleinlauf mit Trommelwirbel. Welzheim präsentiert mir sofort sein Eiscafé, wo ich - trotz eines extrem sinnigen Spruches der Inhaberin ("Sie sind ja ganz naß!") - erstmal eine Tüte auf die Faust bestelle. Unter dem Vordach eines Pleite gegangenen Fischhandels esse ich glücklich mein Eis und die Passanten freuen sich mit mir. "Bei schönem Wetter Eis essen kann ja jeder!"

Das Hotel sieht von außen klasse aus, aber schon die planlosen Menschen drinnen lassen Böses erahnen. Nach einigen Diskussionen kriege ich dann doch mein Zimmer, vollkommen überteuert, unglaublich hellhörig. Egal. Hauptsache, die Dusche ist heiß und das ist sie in der Tat.

Hausnummernbingo: Zwischenstand

Hier die Liste der aktuell erspähten Hausnummern... Ich bin ja gespannt, wie weit ich das bis zum Bodensee noch auffüllen kann. Ich baue auf allgemeine Unterstützung!

1: fehlt!
1a: Wormsdorf
2: Walkenried & Zorge
3: Hastrungsfeld & Sollstedt
4: Heyerode & Ummendorf
5: Bleicherode
6: Winterstein
7: fehlt!
8: fehlt!
9: fehlt!
10: fehlt!
10a: Hüttenrode
11: Hastrungsfeld
12: Klein Quenstedt
13: Berlin & Reifenstein
13a: Brieselang
14: Hohegeiss
14a: Silberstein
15: Reifenstein
16: Branderode
17: Hornhausen
18: Oberrot
19: fehlt!
20: fehlt!
21: fehlt!
22: fehlt!
23: Schwanebeck
24: Kemmeten & Walkenried & Wefensleben
25: Sollstedt & Walkenried
26: fehlt!
27: fehlt!
27a: Zorge
28: fehlt!
29: fehlt!
30: fehlt!
31: fehlt!
32: fehlt!
33: fehlt!

In der Kür haben wir dann noch:
34: Kembach
43: Welzheim
44: Kirchenkirnberg
49: Hornhausen
52: Welzheim
95: Berlin
114: Wulferstedt
146a: Wulferstedt

Hausnummernbingo: Endlich wieder fette Beute...

#43: Welzheim (mal wieder richtig schön schief aufgeklebt...)

#52: Welzheim

#44: Kirchenkirnberg

#18: Oberrot

Hausnummernbingo: Wieder eine Einsendung aus der Hauptstadt...

#95: Berlin-Hohenschönhausen
(Zoom mich, Baby...)

Dienstag, 1. Juni 2010

Idyllenschwerpunkt Bach...

01.06.2010 - Tag 40
Waldenburg - Hohenhardtsweiler
7 h - 27 km

Mein gestriger Ruhetag hat mich geschlaucht. Zuviel gegessen, zuviel geschlagen, zuviel geredet. Aber es war herrlich! Christoph setzt mich am späten Vormittag in Waldenburg ab, wo wir uns vorgestern getroffen hatten. Das Loslaufen geht ganz automatisch, meine Füße erinnern sich sofort an den Takt. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch mit meinen komplett frisch gewaschenen Klamotten und freue mich doch schon darauf, heute abend wieder verdreckt in meinem Nachtquartier anzukommen.

Der Himmel hält dankenswerterweise dicht und ich bummle durch den Schwäbisch-Fränkischen Wald. Noch nie von gehört. Außerdem wirkt die Bezeichnung "fränkisch" irgendwie fehlgeleitet in einem Landstrich, in dem ganz unüberhörbar schwäbisch gesprochen wird. Aber es ist Dienstag, ich bin alleine in diesem nassen Wald, und das ist alles, was heute zählt.

Am frühen Nachmittag wandere ich ein malerisches Flußtal entlang, das sich immer weiter verengt. Soweit, bis zum Schluß nur noch ein schmaler Pfad neben dem überbordenen Bach entlang läuft. Von überall her kommt Wasser, aus jeder Ritze, unter jedem Blatt hervor, alles strömt zum Bach und der trägt schwer mit all der Last. Ich bin im Glück, solche schmalen Wege sind mir die Liebsten. Ein paar Biegungen weiter kommt die Herausforderung. Der Weg ist weg. Und irgendwie auch die Brücke, die hier sein sollte. Zur Illustration:

Hier im Bild: Idyllenschwerpunkt "schmaler Pfad neben Bach in tief eingeschnittenem Tal". Alles soweit noch ok...


Und hier der Gegenschuß: Herausforderung "Weg weg, Brücke weg". Der Pfad endet vorne links, danach sollte es eigentlich oben rechts weitergehen...


Es ist ja nun nicht so, daß ích noch nie einen Bach ohne Brücke überquert hätte. Neben der goldenen Muttiregel "Über jedes Bacherl geht a Brückerl" gibt es ja auch noch: Steinhüpfen, Schuhe ausziehen und durchwaten oder gar auf die Wasserdichtheit der Stiefel vertrauen. Oder im Zweifelsfall: Umkehren, anderen Weg suchen. Keine dieser Alternativen kommt in Frage. Auf dem gegenüberliegenden Ufer wage ich ein paar Meter höher meinen eigentlichen Weg zu erkennen, aber irgendwas in mir hält mich vor irgendwelchen halsbrecherischen Aktionen zurück. Wahrscheinlich die Vernunft, die weiß, daß das da oben gar nicht mein Weg ist, sondern nur ein Trampelpfad für Rehe. Von unten ist das nicht zu erkennen... Zurück kommt nicht in Frage, als kraxele ich auf meiner Seite des Baches die Böschung hoch, rutsche dabei x-mal auf dem nassen Waldboden aus, lande am Ende auf einem Holzweg, der zuletzt vor 20 Jahren befahren wurde. Bei der Wahl zwischen "Brennnessel oder Brombeersträucher an den Unterschenkeln" wähle ich regelmäßig das falsche Übel und brauche für die nächsten 500 Meter bis zum Forstweg (der da hinten irgendwo kommen muß-muß-muß) eine knappe Stunde. Danach geht alles wunderbar schnell, die Wegmarkierung ist plötzlich wieder da, einen Kilometer weiter gibt es eine neue Brücke und - wuppdich - bin ich aus dem Tal draußen und sammle erstmal die aus dem Unterholz mitgebrachten Zecken wieder ein.

Überhaupt kämpfe ich heute den halben Tag gegen Unterholz, hüfthohes Gras und verschwundene Wege. Ein wenig so, als wären alle Menschen, die jemals in diesem Wald gelebt haben, plötzlich verschwunden und nun erobert sich der Wald die Wege zurück. Aber vielleicht übertreibe ich auch nach den letzten Tagen, in denen ich nur wohlgeordnete Weinberge gesehen habe.

Abends im Hotel erliege ich wieder dem herben Charme von verzweifelten Landhotels, zu denen es keine Alternative gibt. Herrlich bitter...

Durchgemogelt...

30.05.2010 - Tag 38
Garnberg (Künzelsau) - Waldenburg
4,5 h - 20 km

Was für ein Bummeltag... Sonntag vormittag durchs ausgestorbene Künzelsau. Im Wohngebiet an den Hängen pennt anscheinend noch alles. Der Aldiparkplatz ist irritierend leer, die DHL-Packstation steht einsam am Rande und spuckt brav die Wanderkarten für die letzten zwei Wochen Weg aus. Nur noch 7 Karten...

Die letzte Nacht hat es fleißig geregnet und rechtzeitig zu meinem Aufstieg aus dem Tal heraus fängt es wieder an zu schütten. Ich habe aus den letzten Tagen gelernt und stelle mich fix unter. Und so beginnt das Spielchen, das den ganzen Tag anhalten wird. Regenfront - unterstellen - Himmel kritisch beäugen - weiterlaufen - Regenfront usw. Ständig ein drohender Himmel, plötzlich wieder mal kurz Sonne, aber in der Ferne immer ein gefühlter Weltuntergang. Schon kurz hinter Künzelsau trete ich aus dem Wald und kann über die Hohenloher Ebene bis nach Waldenburg sehen, meinem heutigen Ziel.

Kurz vor Belzhag zieht von Westen ein Wolkenvorhang heran, der so aussieht, als würde er mein Versteckspielchen nicht mitmachen und mich statt dessen mit voller Wucht duschen wollen. So sehe ich aus, wenn ich voller Vorfreue auf diese Dusche bin:


Und so sieht meine Rettung vor derselben aus:


Als ich mich wie ein Mann unter dem Busvordach unterstelle, meine Kiwis esse und auf ein Unwetter allererster Güte warte, fallen insgesamt 5 Tropfen und nach 20 Minuten gehe ich trocken, aber bedröppelt weiter. War wohl nix. Die restlichen paar Kilometer bis Waldenburg aus guter alter Tradition wieder mal auf der Straße.

Die Enttäuschung des Tages dann Waldenburg selber. Aus der Entfernung eine stattliche Burg auf einem Bergsporn, aus der Nähe zwar immer noch eine Burg, aber in Privatbesitz. Und das auf den ersten Blick mittelalterlich anmutende Städtchen dahinter ist auf den zweiten Blick nach 1945 komplett neu aufgebaut worden. Nach einer schlimmen Pizza holt mich mein Vater ab, ein Pausentag samt Waschmaschine wartet bei Christoph und Doris auf mich. Wenigstens EIN Lichtblick...

Für Sina...