Donnerstag, 10. Juni 2010

Feddich.

10.06.2010 - Tag 49
Weingarten - Friedrichshafen
6 h - 27 km

Ich starte früh und versuche, der Mittagshitze aus dem Weg zu gehen. Vergebens. Schon bevor ich Ravensburg verlassen habe, habe ich schon die Nase voll. Die Luft ist furchtbar drückend und liegt wie ein nasser Teppich auf mir. Hinter dem letzten Wohngebiet frischt der Wind auf, es wird erträglich und schon bin ich im Wald. Die letzte Etappe meint es gut mit mir...

Nach dem Wald kommt das Obst. Stundenlang geht es durch Obstplantagen und durch Dörfer von Obstbauern, denen es nicht schlecht zu gehen scheint. An den Bäumen hängen schon Kirschen, Äpfel, Birnen, Zwetschgen -- alles noch im Mini- bis Daumennagelbereich. Zu Beginn der Reise habe ich mich in Mecklenburg-Vorpommern über blühende Obstbäume gefreut, jetzt und hier tragen sie schon Früchte. Die Obstplantagenwelt ist eine unwirkliche, mit gemähtem Rasen, keinem Stück Unkraut, genormtem Abstand zwischen den Reihen, Hagelschutznetzen über mehrere Hektar, einbetonierten Widerhaken. Und mit meterhohen Druckluftkanonen, um donnernd die Vögel zu vertreiben. Mir egal, alles egal, heute zählt nur das Ziel. Die Alpenkette wird immer deutlicher und läßt sich doch nicht richtig fotografieren - jeder Versuch endet in einem kläglich verschwommenen Grau.

Vom Berg über Ailringen müsste man den Bodensee eigentlich sehen können, peile ich auf der Karte. Die letzten zwei Kilometer freue ich mich über die Sichtblockade der Obstbäume, auf den letzten hundert Metern geht es ein wenig bergauf und die Dramaturgie ist perfekt. Hinter der Kapelle öffnet sich der Blick. Friedrichshafen liegt unter mir, die Alpen von ganz links bis ganz rechts und davor, silbergrau, der Bodensee. Ich sitze auf der Bank und forsche in mir nach einer Reaktion. Aber außer der Freude über die schöne Aussicht bleibt alles still.

Schon am späten Mittag bin ich im Hotel, stelle mich glücklich unter die kalte Dusche und halte einen ausgiebigen Mittagsschlaf. Bis zum Seeufer sind es noch drei Kilometer, unten im Ort waren mir die Hotels entweder zu doof oder zu teuer. Wie um das Ende hinaus zu zögern, beschäftige ich mich den Nachmittag mit Wäsche waschen, rasieren, fernsehen. Gegen Abend merke ich, daß es jetzt sein muß. Den Rucksack lasse ich im Zimmer und laufe in ziviler Kleidung in Richtung Ufer. Allein heute bin ich viermal angesprochen worden, ob ich den Jakobsweg laufe -- ein Graus, sich jedesmal dieser Unterstellung erwehren zu müssen. Wie ging der Spruch, den ich vor einigen Tagen an einem Haus gesehen habe: "Es gehört nur ein wenig Mut dazu, nicht das zu tun, was alle tun."

Der Bodensee ist aufgewühlt vom Wind, der von Süden peitscht. Ich sitze frisch geduscht im frisch gemähtem Gras am Ufer und sehe den Wellen zu, bin froh, daß ich hier ganz heimlich in zivil sitze und alles in mir wird ganz still. Um mich herum Rentner, Familien, alte Paare, jeder genießt den Wind und die Sonne. Neben mir döst ein schwules Entenpäarchen im Gras. Was für ein schönes Bild. Ich überlege lange, was diese Ankunft nach 1.195 Kilometern bedeutet und was sie ändert, aber ich finde keine Antwort. Ich bin trotzdem glücklich. Es waren herrliche Wochen, die mir ewig im Gedächtnis bleiben werden - nicht nur in den Momenten, wenn ich mal wieder auf einer Autobahn meine Route kreuzen werde.

Nach einem angemessenen Eisbecher streife ich durch die leere Fußgängerzone und die volle Uferpromenade von Friedrichshafen, bis ich merke, daß ich nur ziellos herumirre.

Ist gut jetzt.

Mittwoch, 9. Juni 2010

Sommer, Sonne, Sonnenbrand...

09.06.2010 - Tag 48
Bad Schussenried - Weingarten
7 h - 33 km

Gleich morgens am Ortsrand von Bad Schussenried sehe ich wieder die Alpen vor mir, diesmal ohne Zweifel. Nicht irgendein Schatten hinten am Horizont, sondern richtig, mit Schnee obendrauf. Ich setze mich einen Moment hin und muß schmunzeln. Wie vertraut dieser Anblick eigentlich ist und wie besonders in diesem Fall...

Es ist noch wärmer, noch schwüler, noch sonniger als gestern. Wieder die Frage: Wann bin ich endlich im Wald? Heute sind es fast 3 Stunden, bevor ich endlich etwas Schatten bekomme. Die links abgebildete Bank, obschon mit schöner Aussicht aufwartend, verschmähe ich selbstverständlich. Mein Hirn ist auch so bereits schön weichgekocht...

Beim Abstieg ins Tal quengelt in mir schon die Vorfreude... Seit Tagen fährt immer wieder das altbekannte Kinderlied von der Schwäbsche Eisebahne durch meinen Kopf, im Refrain werden die Bahnhöfe "Stuttgart, Ulm und Biberach, Meckebeure, Durlesbach" genannt. Unten im Tal liegt Durlesbach, ein von mir besonders geschätzter Ortsname, weil man ihn so schon verschwäbeln kann. Und putzigerweise besteht Durlesbach aus genau 1 Bahnhofsgebäude und 3 Häusern. Ende. Sonst nix. Idyllenschwerpunkt Talbahnhof.
Den Schussentobel, ein enges Tal, entlang nach Mochenwangen. Ich liebe Talwanderungen, zusätzlich werden sehr schöne Informationstafeln zu Geschichte, Wirtschaft und Verkehr des Tals serviert, nebenher plätschert der Bach. Auf dem anderen Ufer gibt es einen nassen Polterplatz (wer DAS ohne Google weiß, hat einen gut bei mir!) und ich überlege, ob ich ein bißchen kreischend unter den Beregnungsanlagen hin und her laufen soll. Naja... Am Ende des Tals lerne ich, wie viele Gerüche eine Papierfabrik produzieren kann. Und wieviele davon gut riechen - nämlich genau einer. Der Geruch von frischem Holz. Ansonsten riecht eine Papierfabrik abwechselnd und überwiegend nach Kläranlage mit Blähungen, fauligem Wasser, überhitztem Sägeblatt und ähnlichem Würg. Wieder was gelernt.

Am Himmel machen sich schon fette Wolken bereit, ich äuge jede Stunde immer mal vorsichtig hinter mich - der Wind hat heute schon so oft gedreht, daß ich ihm nichts mehr glaube.

Im Wald ist mal wieder eine Wanderkarte zu Ende, ich falte sie zusammen und hole eine Neue aus dem Rucksack. Die Letzte. So viele Karten habe ich rausgeholt, abgegriffen und wieder weggesteckt - mit dieser wird es ein Ende haben. Ich sitze auf einem Holzstapel und versuche, im Geiste nochmal die Route nachzuvollziehen: Es gelingt nicht. Die einzelnen Tage verschwimmen zu Regionen, die Regionen verschwimmen zu Bundesländern.

Die letzten zwei Stunden durch sonnenbeschienene Wohngebiete. Baindt, Baienfurt, Weingarten. Geschlossene Jalousien, Garagentore, Vorgärten. Kein Mensch, kein Laut, keine Bewegung. Und überall riecht es nach Duschgel und frisch gemähtem Rasen. Zurück in der durchsiedelten Landschaft, der immergleiche Rhythmus aus Gewerbegebiet, Sportplatz, Wohngebiet, Gewerbegebiet, Sportplatz, Wohngebiet. Ich kann keine Vororte mehr sehen, keine Neubaugebiete. So viel Gleiches, so viele verzweifelte Individualiserungsversuche, so viel schon gesehenes. West und Ost haben sich - zumindest was die Wohnhäuser angeht - auf erschreckende Weise angenähert. Plattenbauten kann der Westen auch (siehe oben: Baienfurt). Und überall schlimme Neubauten, die in einigen Jahren genauso widerlich aussehen werden, wie die 70er-Jahre-Bauten der oberschwäbischen Vorstädte, die ich heute durchquere.

Endlich angekommen, zerfließe ich glücklich in der Kühle meines Zimmers, lasse die Rolladen herunter, genieße die Dunkelheit nach all der Sonne und dusche mir den Schweiß des Tages von der Haut. Als ich dann beim Abendessen im Biergarten sitze, rieche ich nach Duschgel. Und bestimmt auch ein bißchen nach frisch gemähtem Rasen.

DAS wollte ich schon lange mal geklärt sehen!

Hat wirklich funktioniert! Ich habe extra gewartet, bis kein Auto mehr in Sicht war und bin dann losgestiefelt...

Für Jakob...

Dienstag, 8. Juni 2010

Schlendern beginnt im Kopf...

08.06.2010 - Tag 47
Altheim (Riedlingen) - Bad Schussenried
6,5 h - 28 km

Nachdem mich meine Wirtin gestern abend freundlich mit resoluten Worten zu einem frühen Frühstück überzeugt hat, stehe ich fast ne Stunde früher als gewöhnlich auf der Straße und weiß gar nicht, wohin mit mir... Ganz anders offenbar die unvermeidlichen Radfahrer, die mich bald von vorne und von hinten anöden. Anscheinend ist man innerhalb von 5 km Entfernung von einem der großen deutschen Flüsse NIE sicher vor Radfahrern...

Der Wetterbericht gestern abend hat 31 Grad für heute angedroht, ich grille am Vormittag schon in der prallen Sonne. Mit einem Seitenblick auf die Wanderkarte hechele ich dem Dürmentinger Wald zu, den ich schon eine knappe Stunde vorher am Horizont sehen kann. Der Weg führt auf den Waldrand zu und zwischen den Bäumen gähnt ein fast schwarzes Tor, in dem der Weg verschwindet. Endlich im Schatten angekommen ist es erstaunlich kühl. Als ein kleiner Wind durch den Wald kriege ich plötzlich Gänsehaut am Arm. Aber jede noch so kleine Lichtung bringt die Hitze und den Dampf zurück, man spürt innerhalb weniger Meter, wie stark sich die Luft in der Sonne aufheizt.

Hinter Dürnau bekomme ich Luft auf Mittagspause. Es ist ungefähr 13:00 Uhr und die Sonne ist merklich unbarmherzig. Am Waldrand findet sich eine perfekte schattige Bank und ich gönne mir einen kleinen Mittagsschlaf. Irgendwann radelt ein Rennradler vorbei und weckt mich. Ansonsten eine Stunde lang: Kein Auto, kein nix. Sauber. Irgendwann wird es doch recht kalt im Wind, ich ziehe sogar nen Pulli über, während ich mir noch nen Schokoriegel gönne. Als ich wieder loslaufe, erwische ich mich bei dem Gedanken, ob ich den Pulli vielleicht erstmal vorsichtshalber anlassen soll... Wie dämlich - kaum aus dem Schatten getreten, bricht schon wieder der Schweiß aus.

Auf dem Feld komme ich an einem Kuhstall vorbei und muß mal wieder feststellen, daß ich Kühe einfach gut finde. Vorsichtig-neugierig, aber standfest. Nicht so hektisch wie diese Hektikpferde... Unbezahlbar ist der die Seelenruhe der nebenstehend abgebildeten Kuh, die sich gerade an der extra installierten Rückenkratzmaschine vergeht. (Bevor jetzt wieder die Fotografen mosern: Die Stange im Vordergrund ließ sich nicht vermeiden, der Preis der Brennnesseln war mir dann doch zu hoch.) Während ich stehe und gucke, steht und guckt die Kuh auch. Irgendwann stoppt die Zeitschaltuhr des Rückenkratzers, ein kleiner - offensichtlich geübter - Arschwackler der Kuh folgt (natürlich ohne dabei das gemütliche Beobachten des Wanderers zu unterbrechen) und weiter drehen sich die Bürsten. Beneidenswert...

Obwohl der Tag eigentlich recht kurz war, reicht`s mir am Ende doch. Zuviel Sonne, zuviel warm. Ich verkrieche mich im dunklen Hotelzimmer und verzichte auf`s Abendessen.

Noch zwei Tage. Mir wird ganz blümerant...

Für Zange...

Weil du dich immer so schön ekelst, wenn ich nur von Zecken erzähle... Heute Nachmittag nach der Durchquerung einer Waldwiese war meine Suchroutine mal wieder erfolgreich, wieder ein Schätzchen von meinem Bein gepflückt (wie schon so viele andere). Aber diese hier habe ich nur für DICH fotografiert!

Hausnummernbingo: Die 90 zum Frühstück...

#90: Altheim (gerade mal 2 min nach dem Aufbruch...)

Ein Herz für Singles...

Gesehen in Neufra, ich hab´s erst für einen Scherz gehalten... Aber dieses ständige "le" in diesem Bundesland nimmt halt kein Ende.

Hausnummernbingo: Herr O. aus B. legt vor!

Wie kommentierte der Einsender dieser Treffer selber so schön? Mit`m iPhone kann man nicht zoomen. Großartig...

#91a: Berlin

#122: Berlin

Montag, 7. Juni 2010

Die Alpen im Blick...

07.06.2010 - Tag 46
Berg (Ehingen) - Altheim (Riedlingen)
7,5 h - 33 km

Der Morgen ist so schwül wie die vergangene Nacht, schwere Wolken hängen am Himmel und sind unentschlossen. Es sieht ständig danach aus, daß jetzt gleich Regen auf mich herab geworfen wird, aber der Tag bleibt erstaunlicherweise trocken.

Entlang der Donau, hier schon ein respektabler Fluß mit ordentlich Tempo. Schwimmen will man hier nicht mehr. Die Biber haben ihren Spaß in den Bächen und Kanälen neben dem Fluß, stolz weisen diverse Schautafeln darauf hin. Ich glaube es erst, als ich den ersten Damm sehe, bin mir aber nicht sicher, ob nicht vielleicht der örtliche Fremdenverkehrsverein... Zuzutrauen wäre es ihnen. Gleiche Kiste im Wald hinter Hausen: Groß kündigen Wanderkarte und Wegweiser die "Schwedenhöhlen" an, ich freue mich schon auf eine Höhlenerkundung, lokalisiere im Geiste schon die Stirnlampe in meinem Rucksack, bin schon kurz davor, mir eine virtuelle Absicherung zu organsieren ("Wenn ich innerhalb einer Stunde nicht anrufe, ruf die Höhlenrettung!"), und als ich vor den Schwedenhöhlen stehe, könnte ich kotzen.


Mehrere nebeneinanderliegende Höhlen, jeweils ca. 15 m tief in den Berg, dienten den Bewohnern der umliegenden Dörfer als Rückzugsmöglichkeit in irgendeinem Krieg, als die Schweden anrückten. Geschichtsfreaks, übernehmt bitte -- ich bin frustriert, weil von den Schwedenhöhlen gerade mal noch ein 50 cm tiefes Loch im Boden übrig ist. So ein Murks.

Auf dem Bussen dann endlich Aussicht. Hier oben auf der Burgruine wäre auch meine Chance, endlich die Alpen zu sehen. Beim Aufstieg auf den Berg und auf den Turm gucke ich absichtlich nicht in die Ferne, sondern hebe mir den Blick für ganz oben auf. In der Tat: Alpen. Ganz hinten im Südosten, ein bißchen, so zackig. Richtiges Alpenpanorama will nicht aufkommen, dafür ist der Rest der Landschaft zu schön. Nach Nordosten hin erkennt man noch den 50 km entfernten Turm des Ulmer Münsters, meine letzte Station Ehingen liegt zum Greifen nahe. Nach Süden hin gibt es hügeliges Land, bis zum Horizont.

Die letzten zwei Stunden wieder durch brütende Hitze und dreschende Sonne. Entlang der Bundesstraße, mehrmals muß ich dank wechselnden Fahrradwegen die mehrspurige Straße überqueren und komme mir jedesmal wie ein Kaninchen vor. In Reidlingen bekomme ich nicht nur komische Schilder serviert (unter anderem den ersten Hinweis auf den Bodensee!), sondern entdecke aus der Ferne noch einen Wanderer mit großem Gepäck an der Tankstelle. Kurze Hose, weißes Hemd, amtlicher Rucksack. Könnte ich sein! Wir winken uns aus der Entfernung. Vor den letzten Kilometern bis zur Unterkunft verpflege ich mich noch mit Eis und Leberkäs-Semmel, eine nicht zu verachtende Kombination.

Noch drei Tage. Vielleicht 100 km. Jetzt ein Fahrrad und ich bin morgen abend da. Der Bodensee zieht mich an und ich fliege auf ihn zu. Für Blicke links und rechts des Weges habe ich schon seit Tagen kaum was übrig, es ist wie auf einer Rutsche, die am Ende immer schneller wird. Und die Landschaft links und rechts verschwimmt in der Geschwindigkeit. Ein bißchen habe ich Angst vor dem Ankommen, daß mich dort wieder ein Achselzucken erwartet. Ging es mir um`s Ankommen oder um`s Unterwegssein? Wohl beides.

Dem Gewitter davongelaufen...

06.06.2010 - Tag 45
Lautern (Blaustein) - Berg (Ehingen)
8 h - 34 km

Nur schnell raus aus dem Tal. Schon vor dem Frühstück sehe ich die ersten Jogger und Radfahrer durch das Tal strömen. Der Sonntag und der strahlende Sonnenschein fordern ihren Tribut. Aber auch auf der Steilstrecke kommt mir ein Jogger entgegen... Das Wetter ist ähnlich schön wie gestern, aber deutlich wärmer. Schon nach der ersten Stunde habe ich eigentlich genug Sonne intus und ich fürchte, daß das ein harter Tag werden wird. Schnell die gute neuseeländische Sonnencreme nachgelegt.

Beim Abstieg zum Blautopf höre ich zum ersten Mal in diesem Jahr das klassische Freibad-Kindergebrüll. Der Sommer ist da. Und die Touristenbusse, auf die ich mich insgeheim schon gefreut habe. Gestern Abend hat mir jemand empfohlen, in Blaubeuren unbedingt das Kloster und den Hochaltar zu besichtigen, aber all diese Menschen um mich herum lösen in mir eher Fluchtgedanken aus. Auf dem Weg aus dem Ort greife ich ein Eis ab, sitze an der Hauptstraße und werden mit einer schönen Oldtimerparade belohnt. Überhaupt scheinen die Baden-Württemberger heute alle die Cabríos oder Oldtimer aus der Garage geholt zu haben. Mir nur recht...

Spätestens wieder auf dem Berg über Blaubeuren dämmert mir, daß ich mich mal wieder mit der Entfernung verschätzt habe. Inzwischen liegen vielleicht 10 km hinter mir, auf der Karte muß ich aber noch zweimal umblättern. Ein schlechtes Zeichen... Ein weiteres schlechtes Zeichen sind die ersten Gewitterwolken, die über die Schwäbische Alb in Richtung Blaubeuren ziehen. Alle halbe Stunde drehe ich mich um und der ganze Kram kommt immer näher. Ich beginne wieder mit dem Scannen von Karte und Landschaft nach Unterschlupf, denn bis Ehingen liegt fast nur noch freies Feld vor mir. Ich steigere das Tempo, so ganz aus Reflex, und der Schweiß läuft in Strömen. Nach dem letzten größeren Anstieg merke ich, daß ich fast schon mein ganzes Wasser getrunken habe --- und vor mir liegen noch mindestens drei Stunden Weg.

Die ersten Tropfen kommen, in Steinenfeld sichte ich ein gutes Scheunenvordach. Aber es lohnt sich noch nicht. Also weiter, vielleicht gibt es auf dem Grillplatz hinter dem Wäldchen eine Hütte. Nix. Weiter nach Altheim, noch mehr Tropfen. Kein Bushäuschen, vielleicht das Vordach des Kindergartens. Jetzt kommt die Sonne raus?! Ich gucke mir nochmal den Himmel an und merke, daß ich vielleicht eine Chance habe, dem Regen davon zu laufen: Das Gewitter zieht aus Westen heran und ist nicht sehr breit. Wenn ich es schnell und weit genug nach Süden schaffe (wo ich sowieso hinwill), könnte ich vielleicht ne Chance haben. Also mehr Tempo. Meine Zunge hängt mal wieder am Gaumen, ich frage eine Familie mit Kindern und den Bauer auf dem Erdbeerfeld, ob sie was zu Trinken dabei haben. Fehlanzeige. Im Schatten einer Linde, schon mit Blick auf Ehingen, hole ich ein letztes Mal Luft für den Endspurt. Lustlos kämpfe ich mich ins Tal, entere die erste und einzige Tankstelle und kaufe viel Kaltes. Im Hotel frage ich nach dem dunkelsten Zimmer und bekomme es tatsächlich! Endlich keine Sonne mehr...

Abends fängt es dann leise an zu regnen.

Sonntag, 6. Juni 2010

Traumhaft...

05.06.2010 - Tag 44
Geislingen – Lautern (Blaustein)
7h – 29 km

Geislingen macht sich zum Abschied nochmal so richtig häßlich. 60er-Jahre-Bahnarbeiter-Wohnblöcke säumen den Weg. Heute ist Altpapiersammlung, vor einem Hochhaus stehen mehrere hüfthohe Stapel aus Pizzakartons - brav zusammengebündelt - und lassen Rückschlüsse auf die Bewohner zu. Irgendjemand hat auf den Gehsteig gekotzt, anscheinend sind die Einheimischen von dieser Stadt ebenso angeekelt wie ich. Vorbei am unvermeidlichen Industriegebiet, rüber nach Bad Überkingen – dem unwahrscheinlichsten Kurort, den ich je gesehen habe. Laut, häßlich, betoniert. Wahrscheinlich muß man in den Quellen ersaufen, um hier Ruhe zu finden.

Allerdings: in einer Nebenstraße serviert Bad Überkingen Großartiges! Einen Unimog aus den 50er Jahren, in makellosem Zustand, mit passendem Anhänger. Und damit nicht genug: Auf dem Anhänger ein Ziegenbock, der - während ich Fotos mache - sofort von einem zum Plaudern herbeigeeilten Passanten (70+) bemitleidet wird. Ich hingegen finde, daß das Kerlchen ganz fidel aussieht und unterstelle sogar, daß ihm die Ausfahrt Spaß machen könnte.


Nach einer knappen Stunde hartem Aufstieg belohnt mich die Alb mit Sonne, einem obszön strahlenden Himmel und herrlich kühlendem Wind. Perfektes Wetter auch für die Segelflieger, die hier oben ihrem regen Wochenendtreiben nachgehen. Gegen Mittag sitze ich im Schatten unter einer Linde auf dem Feld (unter der wie selbstverständlich eine Bank steht), sehe den startenden und landenden Fliegern zu und bin glücklich.

Die Dörfer hier oben auf der Alb brüten in der Sonne, alles zieht sich hinter Jalousien und Sonnenschirme zurück. Wieder einmal ist kaum ein Mensch auf der Straße zu sehen, trotz Samstag. Der kühlende Wind auf den Feldern reicht nicht bis zwischen die Häuser, erst nach dem letzten Hof atme ich wieder durch. Ich überquere die A8, die letzte der Autobahnen vor dem Bodensee.

Dahinter beginnt der Abstieg ins Tal. Nach fünf Stunden in der Sonne freue ich mich auf den Schatten und die Kühle der Bäume. Die letzten 10 Kilometer geht es durch das Lauterntal, mit jedem Schritt wird es schöner. Im Talgrund ist es angenehm kühl und dunkel, wenn die Sonne es doch mal bis hinunter schafft, wird es schlagartig saunaheiß, wie ein heißer Dampfhammer schlägt die Luftveränderung ins Gesicht. Am „schönen Stein“, wieder unter einer Linde, beginnt das Defilee der Radfahrer. Zu Dutzenden radeln sie in der nächsten Stunde an mir vorbei. Sogar drei Wanderer...

Das Tal wird immer tiefer und steiler, links bilden sich die ersten Felswände und Schutthalden hervor, und plötzlich stehe ich nach einer Kurve vor dem ersten von ca. 10 Häusern von Lautern. In der Kirche wurde gerade geheiratet, die versammelte Gesellschaft steht auf der Wiese und unterscheidet sich positiv von der Hochzeitsgesellschaft, die heute Vormittag in Geislingen an mir vorbeihupte. Mein Landgasthof für heute Abend ist ein Traum, der Bach mitsamt Mühle geht direkt daran vorbei. Ich kann nicht widerstehen, werfe den Rucksack ab, entledige mich der Stiefel und steige mit beiden Füßen in den eiskalten Bach. Ich halte es nur ein paar Sekunden aus, bevor sich wohlige Schmerzen in meinen Unterschenkeln ausbreiten. Ein Willkommensspezi, ein Schlüssel zu einem tollen Zimmer (wie passend: das Herrenzimmer) und der blökende Idyllenschwerpunkt Lämmer am Hang neben dem Biergarten runden mein Glück ab. Ich freue mich auf meine Portion Schlaf im ersten 140cm-Bett der letzten Wochen, höre dem Bach zu und befürchte, daß dies vielleicht der bisher schönste Tag der ganzen Reise war.

Feld - Wald - Tal



Freitag, 4. Juni 2010

1.000 km!

04.06.2010 - Tag 43
Weilerstoffel (Waldstetten) - Geislingen
6 h - 24 km

So nervenaufreibend das Regenwetter von gestern auch war, heute herrscht Prachtwetter. Beim Frühstück witzeln meine Tischnachbarn: "Huch, da ist ja ne Wolke am Himmel!"...

Mit dem schönen Wetter hat sich eine Landschaft talaufwärts enthüllt, in der sich immer höhere bewaldete Hügel auftürmen. Beim Aufstieg zur Reiterleskapelle fühle ich mich teilweise schon ans Alpenvorland erinnert. Als Bonus gibt es noch Wacholderheiden, Schafherden, dengelnde Kirchen. Idyllenregion Schwäbische Alb. Wo die Landschaft noch im Schatten liegt, weil die Vormittagssonne sie noch nicht erreicht hat, ist immer noch Wasser im Überfluß. Jede Wiese drückt Wasser auf den Weg, jede Böschung ist eine Quelle.

Nach zwei Stunden Weg merke ich, daß ich mir gar nicht mehr sicher bin, ob ich die 1.000 km-Marke heute oder morgen erreichen werde. Wieder muß ich das seltsame Bild eines Wanderers mit Laptop abgeben, aber zum Glück sieht`s niemand. Also doch: Heute. Nur noch 6 km, ach du Schande...

In Winzingen feixe ich einem verpatzten Stunt eines Motorradfahrers hinterher, der sich beim Versuch, nach einem coolen Stop am Geldautomaten (nicht absteigen, Motor laufen lassen) noch cooler quer durchs Blumenbeet losfahren will. Macht er auch, strauchelt aber gehörig. Recht so. In Donzdorf erspähe ich eine Kneipe mit einem schlimmen Namen, die ich sofort meiner kleinen Sammlung hinzufüge. (Zur Erklärung: Ich sammle doofe, gut gemeinte Namen von schlimmen Kneipen, wie z.B. das "Funkloch" oder das "Pub-a-la-pub") Heute kam die "Pilsbar Werkstatt" dazu. "Scha-hatz, ich muß nochmal rüber in die Werkstatt..." Uff.

Hinter Donzdorf wird es ernst. Ungefähr bei der Burgruine Scharfenberg müßte es soweit sein, aber irgendwie ist es nur eine seltsam virtuelle Marke, die ich dort erreiche. Ich stehe auf dem Turm der Ruine und gucke ins Land, mache das 1.000 km-Foto und zucke mit den Schultern. Das hab ich mir irgendwie anders vorgestellt, aber es fühlt sich so überhaupt nicht nach dem Erreichen von irgendetwas an, sondern eher nach: "Ok. Und jetzt?" Das Fenster des Burgturms geht bezeichnenderweise nach Norden, ich schaue in die Richtung, aus der ich in den letzten Tagen hierher gewandert bin. Ich denke kurz an all die Wochen, all die Orte, all die Kilometer. All die Autobahnen, all die Flüsse -- es ist ein einziger Strom, der immer nur auf das "weiter" angelegt war. Insofern schockt mich an dieser Stelle das Ausbleiben eines Gefühl des Erreichens überhaupt nicht, denn auch heute geht es weiter.

Hinter Kuchalb kommen dank Freitagnachmittag plötzlich tonnenweise Wanderer und Mountainbiker ins Bild. Ich hätte neben Hausnummern auch Berliner Stadtteile sammeln können, der Weg geht über den Tegelberg. Außerdem hatte ich schon den Kreuzberg und noch irgendwas...

Ein schmaler Pfad am Talhang entlang, unten hört man schon Geislingen röhren. Bahnlinie, Bundesstraße, die Geräusche der Stadt fallen mir nach den letzten ruhigen Tagen extrem auf. Vom Kuhfelsen herunter offenbart sich eine wunderschöner Aussicht auf die Häßlichkeit von Geislingen. Unter mir die Kläranlage, Industriegebiete, die Häuser alles andere als malerisch. Naja, die Altstadt versteckt sich da hinten links irgendwo im Tal. Während ich mich innerlich schon wieder vor dieser Stadt ekele und dieser Ekel durch Zumutungen wie den Bahnhof Geislingen-West und die angrenzenden Straßenzüge bestätigt wird, versöhnt mich unversehens ein roter Stuhl mit Knicks vor dem Berufsbildungswerk. Ich rechne es ihm und Geislingen hoch an. Daß das Hotel weit weniger schlimm ist, als ich befürchtet habe, ebenfalls.


Verdammt...

Hätte mich nicht jemand vorwarnen können? Dann hätte ich dieses Stück Weg vermieden...


So soll es sein...

Blick aus dem Fenster gestern abend:



Blick aus dem Fenster heute früh:

Donnerstag, 3. Juni 2010

03.06.2010 - Tag 42
Welzheim - Weilerstoffel (Waldstetten)
6 h - 27 km

Mir steckt immer noch die Nacht in den Knochen. Die Nacht, die keine war... Gegen 23:00 Uhr klingelte mich die Bedienung des Restaurants per Haustelefon aus dem Schlaf, um das Zimmer zu kassieren. Durch die Blume gab sie mir zu verstehen, daß das Restaurant morgen früh erst ab 11:00 Uhr geöffnet sei und deswegen das mit dem Frühstück... Whatever. Gleich nebenan ist eine schicke Bäckerei, dann frühstücke ich eben dort. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, die Luft im Zimmer ist so stickig, daß ich das Fenster ausreißen muß und bis ungefähr 01:00 Uhr dem Küchenpersonal beim Quatschen und Aufräumen zuhören darf. Danach gehen alle lautstark ins Bett und anscheinend bewohnen alle, die hier arbeiten, nicht nur die als privat gekennzeichnete Etage unter mir, sondern auch die nicht belegten Hotelzimmer. Um 03:30 Uhr machen dann die Kinder des Hauses Rabatz im Gang, werden daraufhin von den Eltern zur Ordnung gerufen und --- was soll ich groß rumjammern. Dieses eine Mal wäre ich gerne kriminell gewesen und hätte die Zeche geprellt. Ich hätte es wirklich gerne getan...

Dankenswerterweise regnet es schon morgens seit Stunden. Ich verlasse den schlimmen Laden so schnell wie möglich und verzichte darauf, noch mal "ne halbe Stunde" darauf zu warten, daß der Regen nachläßt. Als ich um 09:45 Uhr auf der Straße stehe, checke ich sofort mal das Sportgeschäft nebenan (vielleicht kann man da ne Regenhülle für den Rucksack kriegen) und wundere mich, weil die Bude eigentlich seit 09:00 Uhr geöffnet sein sollte. Dingdong - Feiertag! Natürlich hat auch der Bäcker geschlossen. Und natürlich kam auf der Ausfallstraße auch keine Tankstelle. Aber Regen. Und überschwemmte Bäche. Und noch mehr Regen. So beginne ich eine nasse Wanderung an einem einsamen Feiertag und ahne schon jetzt, daß es jede Minute dieses Tages regnen wird...

Nach einer guten Stunde bin ich durchgeweicht und befehle mir, daß mir das ab sofort egal sein muß. Irgendwann - wenn man ein gewisses Maß an Nässe erreicht hat - ist es auch tatsächlich egal. Was tatsächlich nervt, ist die ständig beschlagene Brille. Kaltes Wetter, Regen und bergauf ergibt beschlagene Gläser. Ich erinnere mich an die Kontaktlinsen im Rucksack und sofort serviert mir das Schicksal ein goldenes Leckerli: Eine Bank am Waldrand, geschickt unter einen Baum gebaut, dadurch tatsächlich der einzige trockene Fleck in einem Umkreis von mehreren Kilometern. Tapfer operiere ich mir die Augen in den Kopf und verbuche einen Punkt für "Anwendung moderner Technik in Outdoor-Umgebung"...

Der Marsch ist stramm, es hört tatsächlich überhaupt nicht auf zu regnen. Ich bete, daß meine neue Rucksack-Müllsack-Packtechnik sich bewährt und ich heute abend wenigstens ein paar trockene Kleidungsstücke zur Verfügung habe. Selbst die Kühe und Pferde auf den diversen Weiden stehen in der Regel lieber unter den Bäumen als im Regen. Memmen.

Bitter an solchen Tagen ist eigentlich, daß man nichts genießen kann. Die ganzen sechs Stunden Weg ziehe ich die Mütze tief ins Gesicht, Kapuze drüber, und mit Druck weiter. Nur kein Blick zur Seite, keine Pause, keine Mätzchen. Nur schnell Ankommen. Hinter Schwäbisch Gmünd wechsele ich auf den häßlichen Radweg neben der häßlichen Landstraße und mache Tempo das Tal entlang bergauf. Erst am Ziel merke ich plötzlich, wie schön die Landschaft auf den letzten Kilometern eigentlich geworden ist. Weiter vorne geht es bergauf, die Kuppen liegen tief im Nebel begraben. Gras und Wald sind gesättigt, von überall schießt das Wasser hervor, wie aus einem Schwamm, der ausgequetscht wird. Aus jeder Wiese wird ein kleiner Bach. Am Reiterhof guckt aus jedem der fünf Fenster jeweils ein Pferd heraus und sieht zu, wie ich vorbeischnüre. In Waldstetten gibt es ein großes "Zieleinlauf-Eis" in die Waffel. Und so schlimm die gestrige Übernachtungsbasis auch war, so schön ist sie heute. Der Landgasthof liegt malerisch im Tal, mein Balkon guckt in den Nebel hinaus. Ich werfe Rucksack und Klamotten von mir und sortiere erstmal alles. Die neue Packmethode hat sich bewährt! Nach einer heißen Dusche starte ich ein durchchoreographiertes Trocknungsballett, esse ein sehr gutes schwäbisches Abendessen, höre heimlich den drei alten Damen am Nebentisch zu und schwelge im schwäbisches Dialekt "Ja noi, i hätt gern no ein Apfelschorle." Das Internet ist schnell und kostenlos, im Bad gibt es einen Heizkörper, der sich perfekt zum Rucksack aufhängen eignet und ich bin insgesamt sehr glücklich mit diesem Tag.

Bei schönem Wetter kann ja jeder.

Wenn ich irgendwann mal heiraten sollte...

...möchte ich DIESEN Nachnamen annehmen. Und ja - das ist Regen im Vordergrund...


In den Top 10 der häßlichsten Städe meiner Reise: Schwäbisch Gmünd!

Nur mal so als kleines Beispiel... Vielleicht ist Schwäbisch Gmünd im Regen ganz besonders häßlich, aber so viele schlimme Häuser habe ich selten gesehen. Ok, ein paar auftoupierte Stadtvillen gibt`s auch, aber für die großspurig angekündigten Umbaumaßnahmen für die Bundesgartenschau 2014 (neue Erlebnisräume schaffen blablabla) gibt es deutlichen Punktabzug.


Mittwoch, 2. Juni 2010

Limes? Wo?

02.06.2010 - Tag 41
Hohenhardtsweiler - Welzheim
7,5 h - 29 km

Es geht klassisch los, gleich in der ersten halben Stunde verlaufe ich mich. Und verfluche mich, weil ich mal wieder zu stolz bin, einfach umzukehren. Also kraxele ich die nassen Talhänge nach Oberrot hinab und saue mich zum Frühstück gleich mal richtig ein. Die ganze Nacht und den ganzen Morgen hat es geregnet, inzwischen bleibt wenigstens der Himmel trocken - obwohl Gebüsch und Gräser immer noch gerne geben...

Ich schlängele mich in großzügigen S-Linien in Richtung Ziel, man hat ja Zeit. Die fleißigen Wegmarkierer des Schwäbischen Albvereins haben sich mal wieder die letzten Trampelpfade rausgesucht, um dem geneigten Wanderer ein möglichst spannendes Wandererlebnis zu bieten. Ich winke dankend ab und überquere lieber schnell die Wiese an der schmalsten Stelle, um auf der Straße weiter zu laufen. Das funktioniert immer... Mehrmals ziehe ich mit solchen Aktionen das große Los: als ich bei Jaghaus (ja, ohne d) den Weg verfehle und auf der Straße weiterlaufe, stelle ich zwei Kilometer weiter fest, daß der Wanderweg sowieso wegen Forstarbeiten gesperrt ist. Und den wildromantischen Steig bei Hornberg, den ich elegant auf der Kreisstraße abkürze, gibt es anscheinend gar nicht mehr. Seit gestern ist auch dieser Weg gesperrt: Erdrutsch.

Den ganzen Tag durch stille und sehr nasse Waldgebiete und stille und sehr nasse Feldlandschaften. Langweilige Dörfer mit gepflegten Vorgärten und ohne Herausforderungen. Die Bewohner sind selber schuld und deswegen wahrscheinlich auch nicht zuhause.

Ungefähr auf der Hälfte der Tour werfe ich erstmal meine ganze Planung um: Ich habe auf der Karte entdeckt, daß der Limes (Limes, der; röm. Grenzwall) hier ganz in der Nähe verläuft. Als geschichtsinteressiertes Kerlchen wittere ich spannende Informationsschautafeln und eile schnellstens mit wehendem Haupthaar einige Kilometer nach Westen. Ok, Grundmauernreste eines römischen Wachturms. Ok, Grabenreste. Ok, ein Schuttwall eines römischen Kleinkastells. Aber nach zwei - zugegebenermaßen wirklich guten - Schautafeln ist Schluß und der eigens markierte Limesweg hat es sich zur Aufgabe gemacht, mich bis Welzheim auf möglichst obskuren Wegen durch den Wald zu lotsen.

Eine Stunde vor Ende des Tages geht der Regen los, Zieleinlauf mit Trommelwirbel. Welzheim präsentiert mir sofort sein Eiscafé, wo ich - trotz eines extrem sinnigen Spruches der Inhaberin ("Sie sind ja ganz naß!") - erstmal eine Tüte auf die Faust bestelle. Unter dem Vordach eines Pleite gegangenen Fischhandels esse ich glücklich mein Eis und die Passanten freuen sich mit mir. "Bei schönem Wetter Eis essen kann ja jeder!"

Das Hotel sieht von außen klasse aus, aber schon die planlosen Menschen drinnen lassen Böses erahnen. Nach einigen Diskussionen kriege ich dann doch mein Zimmer, vollkommen überteuert, unglaublich hellhörig. Egal. Hauptsache, die Dusche ist heiß und das ist sie in der Tat.